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Archiv-Artikel

Wieder fummeln

BERLIN taz ■ Seitdem Kanzlerin Angela Merkel (CDU) angekündigt hat, die Gesundheitsreform um drei Monate auf April 2007 zu verschieben, sehen Unionspolitiker und Teile der SPD wieder Chancen, das ungeliebte Kompromisspaket entweder stark zu verändern – oder stark einzudampfen. Um über Forderungen zu beraten, wollen sich die Länder-Gesundheitsminister von CDU/CSU am Sonntag nun in Berlin treffen.

Angelpunkt der Forderungen ist die jeweils eigene Interpretation der „Eckpunkte“, die die großkoalitionären Verhandler Anfang Juli präsentiert hatten. Die Union ist unglücklich darüber, wie Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) diese Eckpunkte in eine erste Gesetzesform gegossen hat. Ein Hauptteil der Kritik richtet sich dabei gegen das Reform-Kernstück, den „Fonds“. Über diesen Geldtopf sollen ab 2008/2009 die Krankenkassenbeiträge fließen.

Bayerns Sozialministerin Christa Stewens (CSU) erklärte gestern: „Damit Bayern der Reform zustimmen kann, muss das Vereinbarte umgesetzt werden“. Der vorliegende inoffizielle Arbeitsentwurf Schmidts sei in zentralen Punkten nicht von den Eckpunkten gedeckt. „Wir müssen sorgfältig über die Ausgestaltung des Fonds, über den Beitragseinzug, über die regionalen Zu- und Abschläge sowie über die Zukunft der privaten Krankenversicherung, die als Vollversicherung erhalten bleiben muss, beraten“, betonte Stewens.

Auch die niedersächsische Gesundheitsministerin Mechthild Ross-Luttmann (CDU) meldete Bedenken an. Aus Sicht der Ministerin solle der Einzug der Krankenkassenbeiträge auch künftig bei den Krankenkassen bleiben und nicht auf eine „Mammutbehörde“ übertragen werden, erklärte ihr Sprecher.

Niedersachsens Regierungschef Christian Wulff (CDU) übte sich zwar in Merkel-treuer Rhetorik: „Es gibt keinerlei irgendwie gearteten Wünsche meinerseits, das Verfahren zu verzögern oder zu verschieben.“ Niedersachsen beteilige sich konstruktiv an der Umsetzung der Eckpunkte. Doch verwendete auch Wulff die Brems-Formel „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“ und nannte einen Katalog von Bedingungen.

Saarlands Ministerpräsident Peter Müller (CDU) erklärte gar, die Reform leide unter einem „Geburtsfehler“: Man hätte zumindest Beitragssatzstabilität zu einem unverzichtbaren Kriterium machen müssen, sagte Müller gestern. Wenn das Eckpunktepapier umgesetzt werde, würden steigende Krankenkassenbeiträge unumgänglich.

Und auch die Sprecherin der baden-württembergischen Sozialministerin Monika Stolz (CDU) erläuterte, das Land sehe noch „gewissen Änderungs- und Klärungsbedarf“. So stelle sich etwa die Frage, ob der Risikostrukturausgleich jetzt, später oder möglicherweise überhaupt nicht geändert werde. Der Umbau des existierenden Finanzausgleichs zwischen den Kassen ist freilich schlicht die Voraussetzung für den Fonds.

SPD-Fraktionschef Peter Struck und SPD-Parteichef Kurt Beck haben in den vergangenen Tagen zwar Durchhalteparolen ausgegeben. „Es bleibt bei den Eckpunkten“, erklärte Struck etwa. „Die CDU soll aufhören, daran herumzufummeln.“ Die Gegner des Fonds in der SPD-Fraktion seien „nicht relevant“. Doch haben sich mittlerweile nicht nur die SPD-Linken Andrea Nahles und Niels Annen öffentlich dem Hauptkritiker innerhalb der SPD, dem Gesundheitsökonomen Karl Lauterbach, angeschlossen. Dieser erklärt den Fonds am laufenden Band für „überflüssig“. Auch die Fraktionsvize Elke Ferner deutete gestern an, dass der SPD der Gedanke nicht grundsätzlich fremd ist, den Kompromiss schlicht zu kippen. „Wenn das Paket aufgemacht wird, wird es komplett wieder aufgemacht“, sagte Ferner. Sollten die Unionsministerpräsidenten bei ihrem Kurs bleiben, werde auch die SPD die ihr wichtigen Punkte wieder ins Spiel bringen.