: In Signalgewittern
Die Bremer Stahlwerker wollen ein Stück vom Kuchen der explodierenden Gewinne abhaben. Um ihren Forderungen für die aktuelle Tarifrunde Nachdruck zu verleihen, traten sie gestern in den Warnstreik. Der Chef kam und stellte sich
Von Benno Schirrmeister
Da steht er also, allein, und unpassend elegant auf einem Laster-Hänger. Den hat man zur Bretterbühne umfunktioniert und mit Streiktransparenten geschmückt. Auf einer Pappfaust steht „Feste Übernahme der Azubis!“ und „Freie Lernmittel!“, auf einer roten Fahne prangt das schwarz-gelbe IG-Metall-Logo.
Der Kontrast, den Hans-Jürgen Blöckers Erscheinung dazu bildet, ist denkbar schroff: Während der früh ergraute Herr mit sorgfältig gestutztem Bart spricht, hält er salopp die linke Hand in der Tasche der dunklen Anzughose, sein hellblaues Markenhemd ist frisch gebügelt und die Seidenkrawatte mit doppeltem Windsor-Knoten gekonnt gebunden. Nein, Blöcker gehört nicht dazu. Und der Vorstandsvorsitzende der Bremer Stahlwerke versteckt das auch gar nicht. „Gegen allen guten Rat“ wende er sich jetzt, es ist kurz nach zehn Uhr, an die streikende Belegschaft. Um vier Uhr hat man begonnen, die Apparate anzuhalten, um halb fünf war Stillstand auch bei Regal 2, einer Verzinkungsanlage, bis elf Uhr soll der Ausstand hier dauern. In Salzgitter stehen die Walzmaschinen auch zwei Stunden still – Warnstreiks am Tag vor der dritten Tarifrunde der nordwestdeutschen Eisen- und Stahlindustrie, die heute in Essen beginnt.
„Das ist äußerst ungewöhnlich“, hatte noch vor dem Auftritt des Werks-Chefs ein eigens aus Nordrhein-Westfalen angereister Gewerkschaftsfunktionär geraunt. Ans Mikrophon hat man Blöcker trotzdem gelassen, wo er nun verkündet, was er von den Gewerkschaftsforderungen hält. Nämlich nichts. „Und da können Sie mich auch auspfeifen und Buh rufen“, provoziert er ein wenig. Da machen sich tatsächlich Trillerpfeifen bemerkbar. Aber schnell ist es wieder still. Angespannt still: Hier und da scheint Blöckers Ansprache eingeschlagen zu haben. Schließlich galt die Geste, sich heroisch allein gegen alle zu stellen, schon den Meistern der antiken Rhetorik als besonders gelungener Kunstgriff.
Ein sich anbahnender Arbeitskampf ist ein Gewitter von Signalen. Zum Inventar gehört eine Band, die mit Evergreens die Ruhe verdrängt, und der alte Kämpe, der die Suppe ausschenkt und die Erinnerung an geschlagene Schlachten verkörpert. Vorhersagbar auch, dass die Beteiligung eher mau bleibt: „Die Nachtschicht“, hatte Markus Bendig vom Aktionskomittee am Tag zuvor prophezeit, „wird wohl einfach nach Hause gehen, und einige Kollegen von der Frühschicht wahrscheinlich ausschlafen.“
Stimmt: Trotz jahrelangen Personalabbaus hat das Bremer Werk noch über 3.000 Beschäftigte, um 6.30 Uhr sind es aber nur einige Dutzend, die sich in Gesprächsgrüppchen vor Tor 1 herumdrücken. „Angst“, sagt einer, „die haben Angst.“ Schließlich würden Frau und Kinder nicht fragen, wie mutig man gewesen sei beim Arbeitskampf, wenn man entlassen werde. Auch hätte manch einer vom Betriebsrat die Schnauze voll, da sei ein Misstrauen, weil der ja beteiligt war beim Stellenstreichen. Auch wenn das „nichts miteinander zu tun“ habe. Der Sänger auf der Bühne schmettert „Sag mir quando, sag mir wann…“. Das wird hingenommen. Aber Applaus gibt es nicht.
Es gibt auch andere Deutungen der Stille: Für die Gewerkschafter geht es darum, die eigenen Leute zu mobilisieren – und abzuschätzen, wie breit die Zustimmung ist. Volker Stahmann weist darauf hin, dass niemand versucht habe die Streikposten zu durchbrechen, was „ein Zeichen dafür“ sei, „dass die Kollegen hinter den Forderungen stehen“. Es gehe in dieser Runde auch nicht so sehr darum, auf dem Marktplatz präsent zu sein. Treffen könne man die Unternehmer aber durch die Produktivitäts-Einbußen: „Jede Tonne, die nicht geliefert werden kann ist bares Geld.“
Vollgeparkt mit Lastern ist der Lieferantenhof: Die Fernfahrer sind in aller Frühe aufgebrochen, sie werden aufs Gelände gelassen, aber niemand nimmt die Ladung an. „Nicht vor 11 Uhr“, sagt einer, „und dann drängeln sich alle.“ Für ihn habe sich die Heimfahrt damit wohl für heute erledigt.
Kühn sind die Kernforderungen der Metaller: Einerseits will man einen angemessenen Ersatz für die Altersteilzeitregelung, die wegfällt. Gerade für die körperlich extrem belasteten Stahlwerker ein Unding: Schon jetzt komme kaum noch einer ohne bleibende Schäden bis zum Rentenalter, sagt der Betriebsratsvorsitzende Michael Breidbach. „Es muss doch möglich sein, gesund in den Ruhestand zu gehen.“ Aber in der Frage haben sich die Arbeitgeber noch keinen Deut gerührt. Und in punkto Lohnerhöhung haben sie ein Plus von drei Prozent bei einer Tarifvertragslaufzeit von 19 Monaten angeboten. „Indiskutabel“, findet das Breidbach, der in der Verhandlungskommission sitzt. Von einem Jahr Laufzeit will man nicht abrücken. Und sieben Prozent mehr Geld ist die Forderung.
Das wäre ein üppiger Zuschlag: So viel hat selbst die IGM seit 1992 nicht gefordert. Aber andererseits boomt der Stahl ungebremst, 2005 hat das Bremer Werk zum dritten Mal in Folge einen Rekordgewinn eingefahren. Dass man noch immer nur Schulden abbaue, wie Blöcker beteuert, mag zwar stimmen. Aber auch nicht richtig überzeugen: Im Sommer erst sind der frühere Eigner Arcelor und die indische Mittal-Gruppe zum weltgrößten Stahlkonzern verschmolzen. Geld ist dabei jede Menge verbrannt worden. Und profitiert haben die Aktionäre. Die Arbeiter hätten auch gerne etwas abbekommen.