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Archiv-Artikel

Die Investorette

Mein ganz und gar wunderbares Leben: Philipp Tinglers mokante kurze Prosa über einige „Leute von Welt“

Zugegeben, einen dramaturgisch besseren Einstieg als diese Hymne auf den Wutanfall könnte ich mir, schon aus rein persönlichen Gründen, für eine Sammlung kurzer Prosa nicht wünschen. Und falls unbestrittenes Einverstandensein die Lektüre hier so anregend machen sollte – im weiteren stammt ihr Anreiz aus ehrlicher Verblüffung.

Es könnte sich anders verhalten. Schließlich wäre es wirklich übertrieben, zu behaupten, die Anlässe, bei denen der Autor Philipp Tingler zu Hochform aufläuft, seien neu und überraschend: Einkaufen, Partys, Thomas Mann, Muskeln, Zehlendorf, Zürich und die Plage mit den hässlichen Menschen im Kulturbetrieb. Macht aber nichts. Im Gegenteil liegt ja der Reiz von Philipp Tinglers Geschichten im immer gleichen Setting, dem Muster an Beständigkeit. Zum Beispiel Rich: Verrückt, aber beim Aufschlagen von „Leute von Welt“ ist die erste Sorge, ob der Lebenspartner noch immer das Wort erhält? Ja – und alles andere hätte mich, um das Mindeste zu sagen, maßlos irritiert. Ein Verzicht auf die Soap dieses Paares, die sich vornehmlich um Klamotten, Ausgehen und Autofahren dreht, mithin von herzlichstem Einverständnis zeugt, ist einfach unvorstellbar.

Da Tinglers Texte also vom steten Fortschreiben einer einzigen Geschichte handeln, der seines ganz und gar wunderbaren Lebens, schon deshalb ist das Loblied auf die Tobsucht nur als geniales Intro zu bezeichnen. Dem Neuankömmling in Tinglers Welt wird auf kürzestem Wege deutlich, mit wem er es – mal abgesehen vom geborenen Berliner, studierten Philosophen und Wirtschaftswissenschaftler und schwulen Model mit Hochbegabten-Stipendium – zu tun hat. Dem altgedienten Heimkehrer geht es übrigens kaum anders – entwaffnet vom sprachlichen Witz und Einfallsreichtum, mit dem der Autor seine Geschichte zum Höhepunkt führt, dem Rasenden, konfrontiert mit dem ewigen unveränderlichen Sein des Automaten. Da steht er und holt zum finalen Fußtritt gegen das Scheißding aus: Philipp Tingler, der Meister der attitude.

Anders als gemeinhin geglaubt, ist attitude nun eine Angelegenheit des Charakters und schließt aus diesem Grund schon jede Diskrepanz zwischen Stil und Seele aus. Schlechter Stil, das darf man ruhig sich merken, dementiert augenblicklich jede vermutete oder behauptete gute Absicht. Es wäre also gemein, glaubte Tingler wohl als Rezensent der Zürcher Weltwoche, den Leser vor Fritz Raddatz’ Autobiografie nicht zu warnen. Dazu zwingt schon dessen eitler, unbeholfener Stil. Und weil sich Tingler gegen die Empfehlung Karl Kraus’, „man darf nicht nur keinen Gedanken haben, man muss ihn auch nicht ausdrücken können“ immun zeigt, sind ihm allein die lebendige Sprache und die bösen Pointen seiner klaren Argumente zum Vorwurf zu machen. Zu viel der guten Absicht, wie die Weltwoche befand. Sie ließ dann noch mal Rolf Hochhuth ran.

Am Porträt der Künstlerin Amelie von Wulffen hatte dann Annabelle keine so rechte Freude. Schade. Auf den Seiten eines Frauenmagazins freilich, das Kunst und Künstler nur in deren naiver Feier kennt, hieße es da nicht eine hinreißende Wortschöpfung wie „Investorette“ einfach zu verschleudern? Zwei Buchdeckel, selbst im Papier- statt Leinenkleid, bieten da allemal den besseren Auftritt, den Tingler denn auch weidlich nutzt. Zu seiner und des Lesers Freude, und zu der von Rich, der die Sache wie immer auf den Punkt bringt: „Es muss wunderbar sein, in deiner Welt zu leben, Philipp! Ein Märchenland, wo du immer Recht hast und wo morgens dein Kopf im Osten auf- und abends im Westen untergeht!“ BRIGITTE WERNEBURG

Philipp Tingler: „Leute von Welt“. Kurze Prosa. Kein & Aber Verlag, Zürich 2006, 336 S., geb., 19,90 €