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Archiv-Artikel

Merkel macht mobil

VON LUKAS WALLRAFF

Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte hat eine Bundesregierung die Entsendung von bewaffneten Bundeswehrsoldaten in den Nahen Osten beschlossen. Wie das Kabinett gestern entschied, sollen sich bis zu 2.400 deutsche Soldaten an der UN-Mission zur Sicherung des Waffenstillstands zwischen Israel und der Hisbollah-Miliz im Libanon beteiligen.

Sie sei „vorsichtig mit großen Worten“, sagte Kanzlerin Angela Merkel, aber „dies ist kein Einsatz wie jeder andere. Das Thema Naher Osten und der Einsatz der Bundeswehr in dieser Region hat für mich, für uns eine historische Dimension.“ Merkel erklärte: „Wir sind nicht mehr nur Zuschauer in einer komplizierten Region, sondern wir haben die Wirksamkeit erreicht.“

Die Bundeswehr soll bei der Sicherung der libanesischen Seegrenze durch einen internationalen Marineverband die Führungsrolle übernehmen. Auch die Niederlande, Schweden, Norwegen und Dänemark schicken Schiffe. Ziel ist es, Waffenlieferungen an die Hisbollah zu unterbinden. „Wir haben eindeutig ein robustes Mandat“, sagte Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU). Es erlaube auch die Kontrolle eines verdächtigen Schiffes gegen Widerstand. Das Einsatzgebiet umfasse das gesamte Küstengebiet in einem Bereich von rund 50 Seemeilen. Die Kanzlerin unterstrich, libanesische Forderungen nach einer Sechs-Meilen-Sperrzone vor der Küste, in der die UN-Flotte nicht kontrollieren dürfe, seien vom Tisch. „Wir können den gesamten Bereich befahren“, betonte Merkel. Die Bundeswehr werde libanesische Offiziere mit an Bord eigener Schiffe nehmen. Bei Entscheidungen über das Vorgehen gegen mutmaßliche Waffenschmuggler gebe es aber „kein Vetorecht der libanesischen Verbindungsoffiziere“.

Merkel behauptete: „Wir haben das Risiko für unsere Soldaten kalkulierbar gemacht.“ Die finanziellen Kosten für die deutsche Beteiligung an der UN-Mission bezifferte der Verteidigungsminister für dieses Jahr auf rund 46 Millionen Euro und für 2007 auf rund 147 Millionen Euro. Jung gab bekannt, dass insgesamt bis zu 2.400 Soldaten von Marine und Luftwaffe in den Einsatz geschickt würden. Das größte Kontingent dafür stelle die Marine mit 1.500 Soldaten. Zum Einsatz kämen voraussichtlich zwei Fregatten mit Bordhubschraubern, ein Einsatzgruppenversorger mit Lazarett an Bord, ein Tender und vier Schnellboote. 100 Soldaten der Luftwaffe sollten den Lufttransport unterstützen. 400 weitere Soldaten seien für die Führung des Marine-Einsatzes und die Logistik vorgesehen, 100 Soldaten zur Ausbildung und Beratung der libanesischen Armee im gesamten Land sowie 300 Soldaten als „planerische Reserve“. Das Mandat für den Bundeswehreinsatz ist zunächst bis zum 31. August 2007 befristet. Merkel schloss eine Verlängerung jedoch nicht aus. Sie wolle „heute keine zeitlichen Spekulationen“ abgeben.

Jung wünschte sich eine möglichst breite Zustimmung im Bundestag, der am kommenden Mittwoch über den Bundeswehreinsatz abstimmen soll. Die Fraktionschefs der Regierungsparteien, Volker Kauder (CDU/CSU) und Peter Struck (SPD), erklärten, sie würden den Abgeordneten, die gemäß Verfassung das letzte Wort haben, ein Ja empfehlen.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) betonte, es gehe bei dem Bundeswehreinsatz auch um die Glaubwürdigkeit der politischen Bemühungen Deutschlands um eine Konfliktlösung im Nahen Osten. Die Bundesregierung habe im Juli und August auf eine Einstellung der Kampfhandlungen zwischen Israel und der Hisbollah gedrungen. Dabei habe man von Anfang an gewusst, dass eine dauerhafte Waffenruhe nur mit einer „Stabilisierungsmission“ der UNO erreichbar sei, sagte Steinmeier. Für Deutschland stelle sich nun die Frage: „Dürfen wir uns in einer solchen Situation heraushalten?“ Er meine: „Wir dürfen das nicht.“ (mit Reuters, dpa)