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Archiv-Artikel

Ein historischer Themenpark

GÖRLITZ Die Stadt eignet sich als hervorragende Filmkulisse

Großes Kino

 Die Filmstadt Die Stadt Görlitz stellt sich als Magnet für Filmproduktionen vor: www.goerlitz.de/stadtportrait-von-goerlitz/filmstadt-goerlitz.html

 Website zu Tarantinos Film „Inglourious Basterds“: movies.universal-pictures-international-germany.de/inglouriousbasterds/

 Infos zu Stephen Daldrys „Der Vorleser“: www.dervorleser-film.de/

VON PHILIPP WURM

Fast drei Jahre danach ist Heidi Ullrich aus Görlitz noch immer ganz aufgewühlt, wenn sie über das spricht, was sie als „schlimmen Schock“ bezeichnet. Im „Vorleser“, der Hollywood-Verfilmung des gleichnamigen Romans von Bernhard Schlink, spielte sie eine Blumenhändlerin. Zwar nur für ein paar Sekunden, aber doch lange genug, um einem gewöhnlichen Leben eine außergewöhnliche Episode beizufügen. Und dann das: Heidi Ullrich sitzt zur Filmpremiere im Görlitzer Kino, unter der versammelten Prominenz, und wird von Minute zu Minute unruhiger. Am Ende weint sie: Die Szene, in der sie dem männlichen Hauptdarsteller David Kross eine Rose verkauft, die der seiner Geliebten Kate Winslet schenken will, sie wird nicht gezeigt. Stephen Daldry, der Regisseur, hatte sie herausgeschnitten.

„Hach, das war schrecklich“, seufzt sie. Ihrem Sohn, ihrer Tochter, ihren Freunden, ihren Bekannten hatte sie damals im Herbst 2007 voller Euphorie erzählt, dass sie jetzt berühmt sei, in einem Hollywoodfilm als Komparsin mitspiele. Bild hatte von ihr berichtet, ebenso das Lokalradio. Die Sächsische Zeitung bildete ihr glückliches Gesicht sogar auf die Titelseite ab. Und dann ging die Welt unter. Die Zeitungsausschnitte hat sie dennoch allesamt verwahrt, als Andenken an eine besondere Erfahrung.

In Görlitz haben viele Einwohner ihre ganz persönliche Hollywood-Geschichte zu erzählen. Die Stadt an der Neiße hat sich in den vergangenen Jahren zum Drehort großer Filmproduktionen entwickelt. Ihre sensationelle Kulisse mit Renaissancegebäuden, Barockbauten oder Gründerzeithäusern lässt die Stadt wie einen historischen Themenpark erscheinen, in der sich jede Epoche nachspielen lässt. Zur Freude der Location-Scouts – jener Filmschaffenden, die Drehorte auskundschaften – gibt es im Stadtkern keine moderne Architektur, die die Authentizität stören könnte.

„Der Vorleser“ erweckte das Nachkriegsdeutschland der 50er Jahre zum Leben. Kult-Regisseur Quentin Tarantino ließ im November 2008 für eine Schießszene in seinem Anti-Nazi-Film „Inglourious Basterds“ die apokalyptische Atmosphäre des Zweiten Weltkriegs wiederauferstehen. In der Jules-Verne-Verfilmung „In 80 Tagen um die Welt“ ahmte 2003 eine Filmcrew um Action-Star Jackie Chan die Welt des ausgehenden 19. Jahrhunderts nach. Und vor kurzem machte das deutsche Drama „Goethe!“ das späte 18. und das frühe 19. Jahrhundert wieder lebendig, die Ära der deutschen Dichter und Denker.

Begegnungen mit Stars gehören für die Görlitzer beinahe zum Alltag. Kathrin Horschig, Leiterin des Schuhhauses Leiser am Postplatz, hat Kate Winslet während der „Vorleser“-Dreharbeiten Stöckelschuhe verkauft. Der Kellner Diego Kudßus hat Quentin Tarantino und Daniel Brühl, Nebendarsteller bei „Inglourious Basterds“, im Restaurant Lucie Schulte ein Abendmenü aufgetischt. Dort entpuppte sich Tarantino als schräger Historien-Sammler: Als er von der Toilette zurückkehrte, wollte er 4.000 Dollar für eine Stahltür bezahlen, die er im Keller entdeckt hatte und die Teil eines noch erhaltenen Luftschutzbunkers war. Der Restaurant-Chef lehnte ab.

Der Galerist Eberhard Klinger mimte als Komparse bei „In 80 Tagen um die Welt“ einen Edelmann mit Zylinder auf dem Kopf, der als Passant immer wieder durchs Bild flanierte. „Warten, warten, warten, bis meine Szene drankam“, das war die bleibende Erinnerung an den Job. „Unendlich viel Spaß“ hat es aber dennoch gemacht.

Der Filmglamour stärkt das Selbstbewusstsein der Stadt. Görlitz macht allenfalls Schlagzeilen wegen seiner vielen Arbeitslosen und wegen all der jungen Menschen, die abwandern. Da sind positive Nachrichten begehrt. Deshalb bemüht sich die Stadtverwaltung darum, Filmunternehmen wie dem Studio Babelsberg eilfertig zu assistieren, wenn von dort mal wieder ein Location-Scout ausschwirrt. Sofort stehen die Mitarbeiter vom Liegenschaftsamt parat, um gemeinsam passende Kulissen zu finden.

Es ist aber nicht nur die Bausubstanz, von der sich die Regisseure und ihre Crews angezogen fühlen. Auch die abgeschiedene Lage im östlichsten Winkel Deutschlands macht einen guten Teil des Görlitzer Charmes aus. „Hier herrscht kein Trubel wie in der Großstadt“, sagt Kerstin Gosewisch, die Medienreferentin der Stadt. „Die Filmteams können ihre Arbeit machen, ohne gestört zu werden.“ Die Ruhe auf den Straßen, die damit zu tun hat, dass die Stadt seit der Wende ein Viertel ihrer Bevölkerung verloren hat, birgt zumindest diesen Vorteil.

Die Stille gilt übrigens nicht für die Gegend rund um den Postplatz: Dort steht Heidi Ullrich, verkauft Abos der Sächsischen Zeitung und redet mit Passanten. Auf ihre verhinderte Hollywood-Karriere wird sie nur noch selten angesprochen.