Die Kammerjäger

ZWANG Industrie- und Handelskammern treten als Stimme der Wirtschaft auf. Doch Unternehmer rebellieren

Der Wunsch: Kurt Jäger hat eine Mail an unseren opentaz-Redakteur geschrieben. Sein Vorschlag: „Was ich auch spannend finde: die Pseudodemokratie in den Industrie- und Handelskammern und im Deutschen Industrie- und Handelskammertag. Ich bin seit ca. 14 Jahren dort aktiv und finde es immer wieder bemerkenswert, wie der DIHK seit Jahren jede Initiative quasi blockiert.“

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VON SEBASTIAN HEISER

Einmal hat Gottfried Härle seinen Jahresbeitrag für die Industrie- und Handelskammer in kleinen Münzen von der Bank abgehoben, in vier Säcke geschaufelt und auf ein Pferdefuhrwerk gehievt. Dann fuhr er, Besitzer einer bayrischen Ökobrauerei, das Geld der IHK vor die Tür. Die Mitarbeiter der Kammer mussten die Säcke annehmen. „Es ist nicht verboten, mit Kleingeld zu bezahlen“, sagt Härle. Er freut sich immer noch über seine Idee.

Nur selten ist der Protest gegen die Zwangsmitgliedschaft in den Industrie- und Handelskammern so plakativ. Meist organisieren die Unternehmer ihren Widerstand von den Schreibtischen ihrer Geschäftsführerbüros aus. Sie ketten sich nirgendwo an und schreien nicht in Megafone – sie haben stattdessen einen Verein gegründet und führen jahrelange Klagen vor deutschen Verwaltungsgerichten.

Brauereiinhaber Härle stört an den Kammern, dass sie mit seinem Geld Lobbyarbeit für politische Positionen machen, die er ablehnt. Der Dachverband der Industrie- und Handelskammern, in dem die achtzig Industrie- und Handelskammern mit 3,6 Millionen Unternehmen zusammengeschlossen sind, hat etwa im Sommer seine „Anforderungen an das Energiekonzept der Bundesregierung“ veröffentlicht. Die Kammern fordern darin, die Laufzeiten der Atomkraftwerke zu verlängern. Die Abschaltung zu dem geplanten Zeitpunkt „würde zu Engpässen bei der Kraftwerkskapazität führen, die jederzeit zur Verfügung stehen muss, und damit Preiserhöhungen provozieren“. Die Regierung beschloss eine Laufzeitverlängerung – und konnte in der öffentlichen Debatte darauf verweisen, dass dies auch von der Wirtschaft gewollt sei.

Gottfried Härle, der mit einer klimaneutralen Bierherstellung wirbt und seine Produkte nur regional vertreibt, ärgert das. „Die Kammern behaupten von sich, die Stimme der Wirtschaft zu vertreten“, sagt er. Aber die sei in Wirklichkeit vielfältiger. Härle zum Beispiel ist gegen längere AKW-Laufzeiten. Trotzdem darf er aus der Kammer nicht austreten, sondern muss ihr weiter einen vierstelligen Jahresbetrag überweisen. „Das passt nicht mehr in ein demokratisches Zeitalter, dass es die Verpflichtung gibt, in so einer Organisation zu sein, nur weil ich ein Unternehmen habe“, sagt Härle.

Härle ist daher Mitglied im Bundesverband für freie Kammern, in dem sich Unternehmer gegen die Zwangsmitgliedschaft engagieren. Rund 1.500 Mitglieder hat der Verein nach eigener Auskunft, darunter Firmen wie die von Härle mit 28 Mitarbeitern, aber auch größere Firmen wie Technisat, die Bauunternehmen Züblin und Strabag und kommunale Betriebe wie die Stadtwerke Barmstedt.

Verbandsgeschäftsführer Kai Boeddinghaus sieht in dem Zwang zur Mitgliedschaft in den Industrie- und Handelskammern „einen nicht gerechtfertigten Grundrechtseingriff“. Vor allem fehle eine stärkere Einbeziehung der Mitglieder vor Entscheidungen. „Die können sich doch nicht in meinem Namen äußern, ohne mich vorher zu fragen! Jedes Schülerparlament hat mehr demokratischen Anstand als dieser Verein“, sagt er.

Die Kammern sind die Nachfolger der mittelalterlichen Zünfte. Heute wird die Zwangsmitgliedschaft damit gerechtfertigt, dass die Kammern das Gesamtinteresse der Wirtschaft bündeln und gegenüber der Politik vertreten sollen. Zudem nehmen sie Ausbildungsprüfungen etwa von Lehrlingen ab.

„Die können sich doch nicht in meinem meinem Namen äußern, ohne mich zu fragen!“

REISEBÜROINHABER KAI BOEDDINGHAUS

In der Theorie sind die achtzig Industrie- und Handelskammern demokratisch aufgebaut, wichtige Entscheidungen sind den örtlichen Vollversammlungen vorbehalten. Doch in einer Institution mit rund 7.500 Mitarbeitern werden diese Regeln oft nicht eingehalten.

So wie etwa in Kassel. Kai Boeddinghaus muss als Inhaber eines Reisebüros seine Beiträge an die dortige IHK zahlen. Er finanzierte damit auch das Grundsatzpapier mit Forderungen an die Landesregierung, das die Kasseler IHK im Jahr 2004 mit anderen hessischen Kammern veröffentlichte – ohne zuvor, wie vorgeschrieben, die Mitgliedsunternehmen zu fragen, welche Positionen sie vertreten. In dem Papier sprachen sich die Vertreter etwa für Studiengebühren und das Abitur nach zwölf Schuljahren aus und schrieben: „Der Industriestandort Hessen braucht exzellent ausgebildetes Humankapital.“ Auf die Klage von Boeddinghaus hin urteilte das Bundesverwaltungsgericht in diesem Sommer nach sechsjährigem Rechtsstreit, das Papier sei „in seiner Gesamtheit fehlerhaft zustande gekommen und rechtswidrig“. Die Kammer habe auch ihre Pflicht missachtet, sich ausgewogen zu äußern und bei umstrittenen Themen auch Minderheitenpositionen zu erwähnen.

Doch geändert hat sich seither wenig. Auch die Forderung nach Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke wurde veröffentlicht, ohne dass die Vollversammlung vorher gefragt wurde. Kai Boeddinghaus wird jetzt wieder zum Protest dagegen losziehen – vor das Verwaltungsgericht.

■ Bundesverband für freie Kammern: www.bffk.de