: Unverdaulicher Schwedenhappen
EHRE Nobelpreis? Unser Autor erklärt, warum er das Ding auf keinen Fall haben will. Egal für was
■ Der Termin: Am Montag, den 4. Oktober beginnt die Nobelpreis-Verleihungssaison. Losgeht es mit dem Preis für Medizin.
■ Der Hintergrund: Der Preis wurde von dem schwedischen Erfinder und Industriellen Alfred Nobel gestiftet. Testamentarisch verfügte er, dass die Zinsen seiner Stiftung „als Preis denen zugeteilt werden, die im verflossenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen geleistet haben“.
■ Der Gewinn: Das Geld sollte zu fünf gleichen Teilen auf die Gebiete Physik, Chemie, Physiologie oder Medizin, Literatur und für Friedensbemühungen verteilt werden. Dotiert ist er dieses Jahr mit 1,1 Millionen Euro.
VON ULI HANNEMANN
Frühmorgens um elf klingelt das Telefon. „Welches verdammte Arschloch …“, krächze ich Reste von Erbrochenem aus Luft- und Speiseröhre und robbe über die obdachlose Greisin, die vorige Nacht irgendwie in meinem Bett gelandet sein muss, hinweg zum Telefon: „Ja?“ „Hikke Irvar Johannsdottir. Stockholmen Nöbelpriskommitter. Tu ärr Öli Hannemannsssson?“, blökt mir eine fremde Männerstimme in nicht näher zu definierendem Wicki-Sprech ins Ohr. Dänisch, Schwedisch, Thüringisch – wer soll das schon unterscheiden? „Ikea, Ikea, Ikea!“, belle ich gereizt zurück. „Oh, I’m sorry …“ switcht der Nordmann mühelos ins Englische.
Doch auch damit ist er an den Falschen geraten. Um diese Zeit und in diesem Zustand Ausländisch zu sprechen, kommt für mich nicht in Frage. „Hör mal, Meister. Dormez vous, alte Kuh. Du sprechen ganz fix Deutsch oder du können mich mal kreuzweise.“
Das wirkt. In gebrochenem Deutsch teilt mir der Anrufer knapp mit, ich hätte den Nobelpreis gewonnen. Den Nobelpreis! Ich! Gewonnen! Das hätte ich nun wirklich nicht gedacht. Was für eine Freude! Sofort werde ich freundlicher. Ich kann mich zwar nicht mehr an meine bisherigen Einlassungen erinnern, aber im Nachhinein hoffe ich nun doch, sie waren eines gekürten Geistesmannes würdig. Nach dem Auflegen fällt mir ein, dass ich völlig vergessen habe, nachzufragen, welchen Nobelpreis ich denn überhaupt bekommen habe. Mist. Vielleicht gibt es ja inzwischen einen für Humor? Aus Spaß betone ich nämlich das Wort „Nobelpreis“ häufig auf der ersten Silbe: Nóbelpreis. Aber was soll das denn für ein Spaß sein? Oje. Bekommt man dafür bereits den Nobelpreis? Das wäre doch alleine Grund genug, ihn abzulehnen.
Die Frau in meinem Bett scheint übrigens tot zu sein. Mit einem Mal freue ich mich gar nicht mehr und bin stattdessen wieder ziemlich müde. Dann gebe ich mir einen Ruck. Jetzt bloß nicht die Nerven verlieren! Sondern die ganze Sache analytisch angehen: Was mache ich denn überhaupt? Ich schreibe. Und was schreibe ich? Prosa. Und von was tut der Prosa eine Unterbezeichnung sein? Von Litaratur. Oder heißt das Literatur? Ergo muss ich wohl den Literaturnobelpreis gewonnen haben. Erstaunlich finde ich es trotzdem. Ich kann kaum einen Jambus von einem Skarabäus unterscheiden, und Günter Grass, meine Güte, so nannte sich mein Lieblingsdealer in der Fuldastraße. Darüber hinaus dürfte ich mit meiner feinziselierten, doch für Normalsterbliche nun mal leider schwer greifbaren Dichtkunst niemals eine Chance gegenüber effekthascherischen Quatschgeschichten à la Herta Müller haben.
Ich kann natürlich die Begründung abwarten. Die senile Jury da in Malmö zimmert sich doch jedes Mal so was zusammen. Vielleicht wollten sie ja endlich mal was richtig crazy Abgefucktes machen. Nun gibt es eine Menge Arbeit für mich. Mit meinem Handy filme ich mich für eine Grußbotschaft ab. Keinesfalls werde ich nach Trondheim fahren – da herrscht doch seit August schon wieder Winter. Kurz überlege ich, ob ich für die Aufnahme besser etwas anziehen sollte, doch rasch verwerfe ich die spießige Anwandlung. Ich spreche und improvisiere und auf einmal höre ich mich sagen: „…Und daher lehne ich die Entgegennahme des Dingenspreises ab!“ Von mir selbst überrascht halte ich mit dem Filmen inne. Ich bin ohnehin fertig. Mein Gewissen hat gesprochen. Wie habe ich nur je mit dem Gedanken spielen können, mich korrumpieren zu lassen? Ich will das schmutzige Geld dieser schmutzigen Halunken nicht.
Außerdem kenne ich Leute, die bereits von einem Hilfstrostpreis beim Bachmannlesen wahnsinnig geworden sind. Was würde da erst der Nobelpreis anrichten? Kicher. Auf keinen Fall möchte ich wahnsinnig werden. Singdudeldudeldei. Hihi. Und last but not least: Wo, um Gottes willen, soll ich in meiner Wohnung das sieben Zentner schwere Murmeltier aus Hartholz unterbringen, das jeder Nobelpreisträger nicht nur bekommt, sondern obendrein bei sich zu Hause aufstellen muss. Andernfalls wird ihm sowohl der eben erhaltene Preis entzogen als auch provisorisch noch ein weiterer dazu. Für die meisten Nobelpreisgewinner bedeutet das, dass sie zeit ihres Lebens einen Nobelpreis im Minus bleiben, da man schon einen zweiten gewinnen müsste, um überhaupt nur wieder auf null zu kommen.
Die Grußbotschaft lösche ich wieder. Meine Gründe gehen die sowieso nichts an. Die werden in Helsinki schon mitkriegen, wenn ich nicht komme.
■ Der Autor lebt in Berlin-Neukölln als Schriftsteller und Taxifahrer