: „Schicksale interessieren mich nicht“
Mit fünf anderen Choreographen hat Royston Maldoom – bekannt durch den Film „Rhythm is it“ – in Hamburg das Projekt „Can Do Can Dance“ organisiert. Morgen ist Premiere. Es tanzen Grundschüler, Behinderte, junge Männer ohne Schulabschluss, Senioren und MigrantInnen
taz: Herr Maldoom, warum ziehen Sie „schwierige“ Gruppen – Straßenkinder, Strafgefangene, Behinderte – leichter zu handhabenden vor?
Royston Maldoom: Das tue ich nicht.
Es scheint aber so: Sie arbeiten ja bevorzugt mit ihnen.
Das liegt daran, dass ich entsprechende Angebote bekomme. In der Tat sind einige Gruppen schwierig, aber das hängt nicht von ihrem sozialen Hintergrund ab. Grundsätzlich bin ich offen, überall zu arbeiten.
Aber wenn Sie wählen könnten?
Würde ich die nettesten, unkompliziertesten, hingebungsvollsten Menschen wählen, die ich finden kann. Eine Gruppe, in die ich hineingehen könnte und sagen: „Lasst uns diese Stück machen“ – und alle würde sagen: „Ja, lasst uns das machen“.
Aber sind Sie nicht stolz darauf, dass Sie die Rebellischen verwandeln können? Aus der chaotischen Masse eine Gruppe disziplinierter Tänzer machen?
Ich bin entzückt, dass Tanz das bewirken kann.
Und Sie.
Nun, es ist eine Kombination all dieser Faktoren. Der tänzerische Prozess ist so Gewinn bringend – wenn derjenige, der lehrt, diese Potenziale auf eine Art freisetzen kann, sie transformiert. Das hat auch mit Glauben zu tun. Ich bin sicher, dass Menschen Außergewöhnliches leisten können, wenn ich es richtig anpacke.
Haben Sie nie jemanden getroffen, der hoffnungslos war?
Doch. Während meiner ersten Arbeiten in Schottland gab es einen Jungen, der derart ungelenk war, dass ich dachte: Er wird niemals tanzen. Inzwischen leitet er ein choreographisches Festival in Schottland.
Wie haben Sie diese Veränderung bewerkstelligt?
Das war nicht ich. Er hat es geschafft. Er wollte unbedingt tanzen.
Sie haben mal gesagt: Kinder brauchen Strukturen. Das klingt nach einem autoritären Ansatz.
Sie brauchen jemanden, der Grenzen setzt. Wir alle brauchen Grenzen. Erst dann können wir dagegen rebellieren. Wie wir auf Grenzen reagieren, hat viel mit Identitätsfindung zu tun: Abgesehen davon wäre es unfair, jungen Menschen vorzugaukeln, dass sie sich ohne Selbstdisziplin weiterentwickeln können.
Eins Ihrer Ziele ist es also, den Menschen Disziplin beizubringen?
Es ist nicht mein Ziel, sondern Disziplin ist essenziell, wenn sie gute Tänzer werden wollen. Disziplin ist einfach Teil des Prozesses. Außerdem ist es enorm wichtig, an die Fähigkeiten der Menschen zu glauben.
Wie vermitteln Sie ihnen das?
Ich sage ihnen: „Ich werde nicht deinen begrenzten Blick auf deine eigenen Fähigkeiten akzeptieren.“
Interessieren Sie sich eigentlich für die Schicksale derer, mit denen Sie arbeiten?
Ich versuche es zu vermeiden. Wenn mir jemand davon erzählen möchte, bitte ich ihn, es nicht zu tun. Ich weiß natürlich ein bisschen – zum Beispiel über die jungen Männer, mit denen ich in Hamburg arbeite. Aber letztlich ist das nicht relevant. Denn ihre wahre Persönlichkeit zeigt sich, wenn wir mit der Arbeit beginnen. Wenn ich sehe, wie sie sich präsentieren. Sie müssen in der Lage sein, in den Raum zu kommen und sich neu zu präsentieren. Nicht so, wie die Gesellschaft sie bisher gesehen hat. Sondern so, wie sie in Zukunft sein wollen.
Verfolgen Sie eigentlich den weiteren Lebensweg Ihrer Schüler?
Natürlich. Oft kommen Ehemalige und erzählen mir, dass der Tanz ihnen eine neue Welt eröffnet hat. Nach Abschluss des Berliner Projekts, das in „Rhythm is it“ dokumentiert wurde, haben die Schüler zum Beispiel weitergetanzt. In selbst organisierten Gruppen. Die Veränderung ist wirklich außergewöhnlich.
Die Veränderung der Persönlichkeit oder des Berufs?
Es geht um die Veränderung des Selbstvertrauens. Darum, dass sie sich nicht mehr als Opfer fühlen. Dass sie begreifen, dass sie etwas anzubieten haben. Dass sie vor einem Publikum stehen, das nicht aus Mitleid, sondern aufgrund ihrer Leistungen applaudiert. Das macht etwas mit ihnen. Es sagt ihnen: „Ich habe einen Wert. Ich habe etwas anzubieten“. Und dies – die Wiedererlangung der Handlungsfähigkeit – ist vielleicht das Wichtigste, was meine Kollegen und ich ihnen geben können.INTERVIEW: PETRA SCHELLEN
Gemeinsame Performance der fünf Gruppen am 16.9., 19.30 Uhr, sowie 17.9. um 11 Uhr im Hamburger Schauspielhaus. Weitere Termine: 21.+24.9., 19.30 Uhr, Hochschule für Musik und Theater, Hamburg