: Volkes Stimme landet in der Urne
Der Volksentscheid in Hamburg steht vor einem Begräbnis. Denn der Senat kann jeden Beschluss wieder ändern
Vor zehn Jahren noch galt Hamburg als Musterland der direkten Demokratie. Als erstes Bundesland führte es 1996 den Volksentscheid ein, um Mitbestimmung nicht nur auf kommunaler, sondern auch auf Landesebene zu garantieren. Doch inzwischen ist der Bürgerentscheid faktisch beerdigt. Denn der CDU-Senat kann jeden Volkswillen durch einen Parlamentsbeschluss anschließend wieder abschaffen.
Ausgehebelt wurde Volkes Wille vom Landesverfassungsgericht. Dies hatte im Dezember 2004 entschieden, dass Volksentscheide und Parlamentsbeschlüsse „gleichrangig“ seien. Die Bürgerschaft könne, wenn ihr Volkes Wille nicht gefällt, „ein Gesetz mit anderem Inhalt beschließen“. Allerdings dürfe sie das „nicht leichtfertig“ tun, sondern müsse vorher „sorgfältig abwägen“.
Mit dem Beschluss der Verfassungsrichter war konkret ein Entscheid entwertet worden, in dem eine Dreiviertelmehrheit der HamburgerInnen sich gegen den geplanten Verkauf der städtischen Krankenhäuser ausgesprochen hatte. Mit der juristischen Rückendeckung aber ignorierte der Senat den Volkswillen und verkaufte seine Kliniken umgehend an den privaten Klinikkonzern Asklepios.
In zwei Wochen wird nun aller Voraussicht nach auch die so genannte Volksgesetzgebung wieder abgeschafft. Bislang haben WählerInnen in Hamburg nur eine Stimme: Ein Kreuzchen bei einer Partei, mehr Auswahl gibt es nicht. Im Juni 2004 aber setzten bei einem Volksentscheid 66,5 Prozent der WählerInnen auf Initiative „Mehr Demokratie“ durch, dass in den Wahlkreisen 71 von 121 Abgeordneten direkt gewählt werden. Und zwar mit fünf Stimmen, die beliebig auf die Kandidaten verteilt werden können. 50 Mandate im Landesparlament sollen über die Parteilisten vergeben werden.
Dieses Wahlrecht findet die CDU „zu kompliziert“. Mit ihrer absoluten Mehrheit in der Bürgerschaft will sie ein neues Wahlrecht beschließen. Ihr Gesetzentwurf sieht zwar weiterhin Wahlkreise vor, aber nur noch zwei Stimmen wie bei Bundestagswahlen. Alle anderen Parteien wie auch Gewerkschaften und Verbände in Hamburg laufen Sturm gegen diesen „Akt der Sabotage am Willen des Volkes“, wie ein FDP-Politiker es ausdrückte.
Von Erfolg gekrönt war bisher nur ein Volksentscheid. Genauer gesagt, dessen Ankündigung, denn durchgeführt wurde er nicht. Der Streit über die Betreuung in Hamburgs Kindertagesstätten wurde im April 2004 in einer gütlichen Einigung zwischen CDU und einem Kritikerbündnis aus Opposition und Initiativen beigelegt. Bürgermeister Ole von Beust (CDU) wollte bei der Abstimmung die absehbare Niederlage vermeiden und machte erhebliche Zugeständnisse. Sein Ziel sei es ja, sagte er damals, „junge Familien nach Hamburg zu locken“, und deshalb müsse diese „leidige Sache vom Tisch“. Sven-Michael Veit