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Archiv-Artikel

Das Wandern ist des Liechti Lust

FILMREIHE Seit 1984 dreht der Schweizer Peter Liechti seine eigenwilligen Filme. Das Arsenal zeigt eine Werkschau

Der kauzige Sprengmeister schießt rote Bänder wie Himmelsschriften in den rauchenden Schlund des Vulkans auf Stromboli ab, lässt einen schwimmenden Tisch über dampfende Heißwasserteiche in Island treiben oder expediert per Knopfdruck eine Reihe von Stühlen synchron aus dem ersten Stock eines verlassenen Hotels hinaus

VON CLAUDIA LENSSEN

Das Wandern ist eine Schweizer Lieblingsbeschäftigung. Man ist wer, wenn man steile Hanglagen erklimmt, Seilbahn- und Gipfelbequemlichkeiten goutiert, sich selbst vor der Aussicht fotografiert und allerlei Älpler-Folklore mitnimmt. Der in Zürich lebende Filmemacher Peter Liechti folgt dem Brauch ohne aufgesetzte Kritik, aber doch mit schöner Hassliebe zum saturierten Nationalcharakter.

In „Ausflug ins Gebirg“, 1986 noch am Anfang seiner Laufbahn als einer der eigenwilligsten Filmpoeten seines Landes, rappt er „Glatz und Schlund, Saustein und Schätteregg“ und Dutzende andere absurd lautmalerische Bergnamen, Vorzeichen für die Kehrseite all der Idylle, wenn das Gewitter kindskopfgroße Hagelkörner auf die ahnungslosen Touristen herunterwirft. In „Hans im Glück“ (2003) protokolliert er vier Fußreisen zum Zwecke der Nikotinentwöhnung, vier Touren von Zürich in seine Heimatstadt St. Gallen, entlang der Hauptstrecken mit all ihrer Tristesse. Reisen, die als Wege zu sich selbst angelegt sind, aber über die eigene Befindlichkeit hinaus durch Liechtis Gespür für den Moment und seine Kunst geduldiger Beobachtung zu Zeitbildern werden, zeichnen seine persönliche Handschrift aus.

„Signers Koffer“ (1996) dokumentiert Liechtis Freundschaft mit dem Schweizer Aktionskünstler Roman Signer, den er auf Reisen nach Italien, Island, Polen und in die Gegend um Bitterfeld begleitet. Der kauzige Sprengmeister schießt rote Bänder wie Himmelsschriften in den rauchenden Schlund des Vulkans auf Stromboli ab, lässt einen schwimmenden Tisch über dampfende Heißwasserteiche in Island treiben oder expediert per Knopfdruck eine Reihe von Stühlen synchron aus dem ersten Stock eines verlassenen Hotels hinaus. Zwischendrin plötzlich eine Szene, in der arbeitslose Chemiearbeiter, verzweifelte Wendeverlierer, in ihrer Bitterfelder Straße auf die Zukunft warten, die nicht kommen wird.

Verzweiflung und Komik, Naturschönheit und explosive Tücken der Objekte, Vitalität und ein gewisser Hang zu morbiden Inbildern des Todes liegen in Peter Liechtis assoziativen Montagen atemberaubend eng beieinander. Männer wie der einsam verspielte Roman Signer oder Liechtis Musikerfreund Norbert Möslang, der seine synthetische Noise-Musik aus Elektronik-Schrott in „Kick that Habit“ (1989) performt, sind die Helden surrealer Experimente, die den Filmemacher faszinieren. Möslangs Soundgebilde grundieren fast das gesamte, rund zwanzig Filme umfassende Werk Liechtis.

Peter Liechti studierte Malerei und Kunstgeschichte, machte ein Examen als Kunstpädagoge und verzog sich danach zunächst zwei Jahre nach Kreta, um sich als Maler auszuprobieren. Erst nach der Rückkehr 1984 entschied er sich, sein autobiografisches Schreiben, die Arbeit mit der Super-8-Kamera und die Musik im Filmemachen zu verbinden. Nur ein Spielfilm, „Marthas Garten“ (1997), ein experimenteller Horrorfilm in Schwarz-Weiß, der das Abgleiten eines Mannes in schizophrene Wahnvorstellungen schildert, ist neben den Künstlerporträts und essayistischen Schweiz-Erkundungen entstanden.

Ein weiteres Einzelstück, ebenfalls Teil der im Arsenal-Kino gezeigten Werkschau, ist Liechtis Adaption des japanischen Romans „Das Summen der Insekten – Bericht einer Mumie“ von Shimada Masahiko (2009). Eine Stimme trägt das Tagebuch eines Selbstmörders vor, der sich in einen Wald zurückgezogen hat, um in einem notdürftigen Plastikzelt durch Verhungern seinen Tod herbeizuführen. Liechtis international erfolgreichster Film visualisiert die zunehmende Qual des Einsamen in einer monotonen, dennoch merkwürdig suggestiven Montage aus Naturbildern, die den Wald im hereinbrechenden Herbst zeigen. Spuren von Wind, Wetter und Kleingetier zeichnen sich auf der Plastikplane ab, wie sie sich einer Projektionsfläche ähnlich über dem Lager des Mannes spannt.

Auch „Vaters Garten – Die Liebe meiner Eltern“, Peter Liechtis persönlichster Film, der bei der Berlinale 2013 Premiere feierte und inzwischen zahlreiche Auszeichnungen gewann, ist in der Werkschau noch einmal zu sehen. Ausgelöst durch eine Zufallsbegegnung mit dem eigenen Vater, entstand im Dialog mit den Eltern halb eine Liebeserklärung an das Paar, das seit über sechzig Jahren konfliktreich zusammenhält, halb eine Abrechnung mit dem Gestrigen, das die beiden verkörpern.

Allein mit seiner Kamera begleitete er mal den Vater, einen nicht uneitlen Mann von Prinzipien, in dessen penibel akkurat angelegten Gartenstreifen, mal die Mutter bei der Hausarbeit. Machosätze des Vaters, Kleinbürgerängste der Mutter, gegen die der Sohn einst rebellierte, lässt er von zwei Handpuppen sprechen, zwei abgründig niedlichen Hasen. Joseph Beuys’ und David Lynchs Hasen schauen bei Peter Liechti um die Ecke, Karl Valentin und Herbert Achternbusch finden in Liechtis Werk einen fachkundigen Nachfolger.

■ Bis 30. März, Werkschau Peter Liechti, Kino Arsenal, Potsdamer Str. 2