… STUTTGART 21?
: Die Berliner bewegen

Trillerpfeifen. Immer wieder Trillerpfeifen. Der Lärm war schon von weitem nicht zu überhören. Dabei hatte die kleine Demo vor dem Bahntower am Potsdamer Platz offiziell noch gar nicht begonnen. Aber wenn die Stuttgarter da unten im Schwabenländle ihre tägliche Bahnhofsrevolution starten, bleibt das auch in der Hauptstadt nicht ohne Folgen. Deutlich mehr als 500 Leute waren am Freitagabend spontanen Aufrufen von Grünen und Linken gefolgt, um gegen den Umbau des Stuttgarter Bahnhofs und das rabiate Vorgehen der Polizei zu demonstrieren.

Mitten in der Menge der grüne Europaabgeordnete Michael Cramer, der lange nicht mehr erleben durfte, dass sein Lieblingsthema – die Bahn – dermaßen die Massen bewegt. Etwas weiter Klaus Lederer, Landesvorsitzender der Linken, der strahlend wie ein kleiner Junge die rote Fahne schwenkte. Kein Wunder, denn hier roch es ganz eindeutig nach Regierung-Stürzen.

Als die üblichen Offiziellen ihre Beiträge abgeredet hatten, hatte das empörte Volk noch lange nicht genug. Spontan zog die Menge zur Landesvertretung von Baden-Württemberg in der Tiergartenstraße. Zweimal versuchte die Polizei die Masse zu stoppen, zweimal kam die Wuchtbrumme Claudia Roth und überwand als Speerspitze der Bewegung die Polizeiketten fast im Alleingang.

Wenig später skandierte die Menge den aktuellen Schwabenhit „Oben bleiben!“ vor der Landesvertretung, die es aus ästhetischen Gründen eher verdient hätte, versenkt zu werden. Zwei Kinder im Vorschulalter lernten im Eilverfahren, dass sie „Mappus weg!“ rufen müssen – und nicht „Markus weg!“ Das schwarze Blöckle, das sich unter die Menge gemischt hatte, schimpfte am Ende wie immer auf den „Bullenstaat“. Da war die Polizei gerade damit beschäftigt, Autos vom Potsdamer Platz fernzuhalten. Denn die Kreuzung war mittlerweile von den auch auf dem Rückweg noch schwungvollen Demonstranten gekapert worden.

Die eigentliche Revolution an diesem rundum gelungenen Abend aber war mal wieder eine technische. Ein Mann trug die auf Pappe geklebte Tietelseite der taz mit der Schlagzeile „Hunderte Verletzte in Stuttgart“. Das ist liebenswert. Auf der Höhe der Zeit jedoch war ein anderer. Er hielt statt Plakat ein iPad hoch, auf dem Videos vom Polizeieinsatz in Stuttgart liefen. So sieht sie aus, die Bewegung von heute. GA Foto: dapd