Clever wählen, besser wählen

Rot-Rot, Rot-Grün, Rot-Rot-Grün, Rot-Gelb-Grün? Bei der Abgeordnetenhauswahl geht es vor allem um mögliche Koalitionen. Eine taktische Stimmvergabe bringt in vielen Fällen mehr Erfolg als nur das sture Kreuzchenmachen bei der Lieblingspartei

VON MATTHIAS LOHRE

„Es ist gut, wenn man Optionen hat“, sagt Klaus Wowereit im Wahlkampf oft. Der Regierende Bürgermeister meint damit zwar, dass sich seine SPD nach der Wahl voraussichtlich ihren Koalitionspartner aussuchen kann. Aber auch den Wählern bieten sich am Sonntag Optionen. Viele Optionen.

Die in diesem Wahlkampf am häufigsten genannte Alternative lautet bekanntlich: Rot-Rot oder Rot-Grün? Wer glaubt, dass die SPD ohnehin stärkste Partei werden wird, der wird sich die Frage stellen, ob Grüne oder Linkspartei die besseren Koalitionspartner sind. Vorausgesetzt natürlich, für sie oder ihn kommt nur die Wahl dieser Parteien infrage. Das jedoch ist der Kern taktischen Wählens: Auch eine Stimme für eine ungeliebte, ja dem Wählenden verhasste Gruppierung kann der Wunschpartei oder -koalition nutzen. Letztlich kommt es halt aufs Ergebnis an.

Erstes Beispiel: Sie wollen, dass Rot-Rot weiterregiert. Das geht natürlich, indem Sie eine der beiden Parteien wählen oder ihre Erst- und Zweitstimme zwischen SPD und Linkspartei aufteilen. Aber in den jüngsten Umfragen liegen die Parteien gemeinsam bei 48 Prozent. Das würde zwar zur Weiterführung der Koalition genügen, weil Rot-Rot eine Mehrheit der Abgeordnetenhausmandate innehätte.

Aber die wäre denkbar knapp. In dem Fall bietet es sich an, eine Splitterpartei, die unter fünf Prozent bleibt, zu wählen. Denn diese Wählerstimmen drücken sich bekanntlich nicht in Abgeordnetenhaus-Mandaten aus. Daher sind Rot-Rot-Sympathisanten gut beraten, für Winzlinge wie die Grauen oder die Anarchistische Pogo-Partei Deutschlands zu stimmen. Die schaffen es nicht ins Parlament.

Zweites Beispiel: Sie wollen Rot-Rot-Grün. Dafür ist ist es praktisch, die WASG zu wählen. Die hiesige Wahlalternative liegt im Clinch mit der Linkspartei und will die Fortführung von Rot-Rot verhindern. In Umfragen kommt sie derzeit auf nur drei Prozent, doch fast die Hälfte der Berliner ist laut Meinungsumfragen noch wenige Tage vor der Wahl unentschieden. Da wäre auch ein überraschender Sprung der WASG über die Fünfprozenthürde drin. Erst recht, falls die großen Parteien es nicht schaffen, ihre Stammwähler an die Wahlurne zu bringen. Ganz nebenbei hätten die Frauen und Männer um die Spitzenkandidatin Lucy Redler eines ihrer Hauptziele erreicht: die Fortführung von Rot-Rot zu verhindern.

Drittes Beispiel: Sie sind CDU-Anhänger und wollen Rot-Rot verhindern. Da bringt es wenig, die Union zu wählen. Die ist ohnehin abgeschlagen. Viel praktischer wäre es, der CDU-Sympathisant beißt die Zähne zusammen – und wählt die Grünen. Selbst die Grünen-Spitzenkandidatin Franziska Eichstädt-Bohlig treibt die Annäherung an die einst verhassten „Bürgerlichen“ so weit, offen um Leihstimmen bei CDU und FDP zu werben: „Die bürgerlichen Wähler haben die Chance, deutlich zu machen, dass ihnen in der Hauptstadt Rot-Grün lieber ist als Rot-Rot.“ Als einzige Partei könnte die einstige AL die PDS aus dem Senat drängen.

Viertes Beispiel: Sie wollen die Ampelkoalition. Wer SPD, FDP und Grüne an die Macht bringen will, tut gut daran, die FDP zu wählen. Denn auch wer insgeheim Wowereit und Eichstädt-Bohlig mag, sollte sie in diesem Fall nicht wählen. Denn nur ein schwaches Abschneiden von SPD und Grünen ermöglicht der FDP, wider alle gegenseitige Wahlkampfbeschimpfung, in den Senat einzuziehen. Zum einen würde das Bündnis zum Plädoyer der Grünen-Frontfrau für einen „Brückenschlag“ ihrer Partei hin zu neuen Wählerschichten bedeuten. Zum anderen hätte die – nach Bremen in den 90er-Jahren – erste rot-gelb-grüne Koalition auf Landesebene Signalwirkung. Wowereit könnte sich bundesweit als Vorreiter neuer Bündnisse profilieren.

So lange die Linkspartei im Bundestag auf die harte Oppositionsrolle setzt, suchen die Bundesparteien nach anderen Koalitionsmodellen. Wowereit würde damit akzeptabel für Wähler in Westdeutschland, die die Linkspartei noch immer ablehnen, der SPD aber mit Sympathie gegenüberstehen.

Wer will, kann es so zuspitzen: Wer FDP wählt, schiebt Wowereit bei der Bundestagswahl 2009 in den Bund ab. Praktisch ist das für Leute, die ohnehin blau-gelb wählen wollen. Sie können alle taktischen Spielchen hinter sich lassen, ihre Lieblingspartei wählen und werden gleichzeitig Wowereit los.

Wem das noch nicht reicht an taktischem Wahlverhalten, der kann sich anschauen, ob es sich für sie oder ihn lohnt, Erst- und Zweitstimme aufzuteilen. Ein Beispiel: Sie wollen Rot-Gelb-Grün und wohnen in einem SPD-dominierten Wahlbezirk. In dem Fall gilt: Geben Sie Ihre Erststimme jedem, nur nicht der ohnehin siegreichen SPD. Ihre Zweitstimme gilt der FDP. Die so genannten Liberalen haben in den Wahlkreisen ohnehin keine Chance, die wichtige Zweitstimme für die FDP schwächt die Grünen. Erst recht, wenn Sie bei früheren Wahlen Grüne gewählt haben. Sie würden Demoskopen überraschen, die landläufig nur selten von Wählerbewegungen von Grün zu Gelb berichten können.

Eine Möglichkeit gibt es noch. Wer für die Fortführung von Rot-Rot stimmen will, kann natürlich auch SPD oder Linkspartei wählen. Oder seine beiden Stimmen zwischen Sozialdemokraten und Sozialisten aufteilen. Aber das wäre ja zu einfach.