: Malen nach Zahlen
GLAUBEN Dietrich Brüggemanns Spielfilm „Kreuzweg“ erzählt den Leidensweg eines 14-jährigen Mädchens
In „Kreuzweg“ sind die Ansichten wie die Einstellungen: ziemlich starr. Der auf der Berlinale gezeigte Film von Dietrich Brüggemann spielt im Milieu von Hardcorekatholiken (die hier einer fiktiven Paulus-Bruderschaft zugehören), er erzählt den Leidensweg eines 14-jährigen Mädchens, das die Lehren der Bibelstunde wörtlich nimmt: Es beschließt, sich Gott zu opfern, damit der vierjährige Bruder endlich sprechen kann. Was, Spoilerwarnung, tatsächlich gelingt.
Wobei es der Warnung in diesem Fall nicht bedarf, spoilert „Kreuzweg“ doch durch seine orthodoxe Form permanent den Ausgang – wenn man voraussetzen kann, dass die meisten Leute wissen, wie das damals mit Jesus zu Ende ging. Die 14 Stationen des originalen Kreuzwegs hat Brüggemann in 14 zumeist feste Einstellungen übersetzt, denen jeweils der Name der Station vorangestellt ist. Es handelt sich bei „Kreuzweg“ also um eine Übersetzungsleistung, die vergleichbar ist mit der Übertragung der Bibel oder von Grimms Märchen in moderne Sprache.
Das macht die Sache etwas statisch (fürs Marketing ist es freilich wunderbar: der Film mit den 14 Einstellungen!), weil immer nur verdoppelt wird. „Kreuzweg“ ist ein Film, der hinter jeden seiner Einfälle ein „(sic)“ setzt: Wenn bei Station sechs („Veronika reicht Jesus das Schweißtuch“) das Mädchen Maria (sic) von der Mutter mit Unterstellungen gestresst und zum Weinen gebracht wird, dann reicht das undogmatischere Au-pair-Mädchen ein Taschentuch (sic). Brüggemanns Projekt ist also ein verschärftes Malen nach Zahlen, das sich von der Routine des Kinos abhebt.
Zweifellos gibt es einen Mangel an formelhaften Erzählungen im deutschen Film, wo die Komödien zumeist nicht komisch und die Dramen selten dramatisch sind. Vor diesem Hintergrund kann man „Kreuzweg“ loben als Versuch von Differenz. Und feststellen, dass Brüggemann nicht allein ist: Philip Grönings Film „Die Frau des Polizisten“, der in dieser, und Jakob Lass’ Film „Love Steaks“, der nächste Woche in die Kinos kommt, setzen ebenfalls auf einen zwar selbst gewählten, aber starren Regelkanon.
Der führt im Fall von „Kreuzweg“ leider nicht zu viel außer bemerkenswerten Schauspielerleistungen (Lea von Acken als Maria, Moritz Knapp als Schulkamerad Christian). Die Geschichte verschafft dem profanen Zuschauer derweil das billige Gefühl, dass das eigene, ungeregeltere Leben doch cooler daherkommt. Das ist eine etwas unbefriedigende Erkenntnis, was sich auch an dem Umstand zeigt, dass „Kreuzweg“ für Piusbrüder wegen des sprechenden Bruders und der Kameraauffahrt am Ende durchaus affirmativ lesbar ist.
MATTHIAS DELL
■ „Kreuzweg“. Regie: Dietrich Brüggemann. Mit Lea van Acken, Franziska Weisz, Florian Stetter. Deutschland 2014, 110 Min.