der wochenendkrimi
: Lettin-Lover

Polizeiruf 110: Die Lettin und ihr Lover, So., 20.15 Uhr, ARD

Drogenbedingter Erinnerungsausfall ist ein so beliebter wie ergiebiger Erzählkniff, um Ermittler mit dem schwierigsten aller Gegner zu konfrontieren: mit sich selbst. Nachdem vor zwei Wochen bereits im Schweriner „Polizeiruf“ der wachhabende Kommissar aufgrund von K.o.-Tropfen unter zeitweiliger Amnesie litt und sich selbst als Mörder seiner Ex im Visier hatte, wird nun Bad Homburgs Keller (Jan-Gregor Kremp) durch eine Mixtur aus hochprozentigen Spirituosen und Morphium in einen Dämmerzustand zwischen Traum und Wirklichkeit befördert. Als er mit dickem Schädel in einer fremden Wohnung erwacht, findet er die Lettin Laima (Rezija Kalnina) bewusstlos in der Wanne liegen. Hat Keller der jungen Frau Gewalt angetan – und ist diese wiederum schuld am Tod eines Weinhändlers, mit dem sie am Vorabend getanzt hat?

Die Reise in die Erinnerung wird von Titus Selge, dem Stammautor und -regisseur des hessischen „Polizeirufs“ mit gewohnt schrägem Personal und gewagten Handlungssprüngen in Szene gesetzt. Christoph Waltz als undurchsichtiger Medicus und Morphinist, der die Rückenschmerzen seines Jugendfreunds Keller mit dem oben beschriebenen Drogencocktail kuriert, ist natürlich wie immer super. Und Felix Vörtler in der Rolle des stets überforderten Wachtmeisters Norbert, der fest von der Schuld seines Vorgesetzten überzeugt ist und nun von der höheren Kripolaufbahn träumt, haucht der Nebenfigur ein Höchstmaß an Leben ein.

Dafür bleibt nun ausgerechnet Keller selbst diesmal ziemlich blass – und das nicht nur aufgrund seines Mörderkaters. Wie schön war es in den letzten beiden Episoden mit anzusehen, als der in die Heimatstadt Bad Homburg zurückgekehrte Hallodri im Puff klassische Lieder sang oder die Weinbestände im Restaurant seiner Freundin (Inga Busch) aussoff, um den Dämonen der eigenen Vergangenheit zu entkommen. Doch langsam verkommt das Gesaufe und Geraufe des Bullen zum Selbstzweck und setzt keinerlei neue psychologische Erkenntnisse frei. Um seinen Kommissar als Figur am Leben zu erhalten, müsste Regisseur Selge ihn in der nächsten „Polizeiruf“-Folge mit der schlimmsten aller Konsequenzen konfrontieren – und ihn auf Entzug setzen.

CHRISTIAN BUSS