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Archiv-Artikel

Die Vernunft für sich gepachtet

Mit seinen Äußerungen zum Islam hat Papst Benedikt in Regensburg eine theologische Brandrede gehalten. Zum Glück stehen auf säkularer Seite schon die Feuerlöscher bereit

Nur der christliche Gott ist ein Gott der Vernunft: Das soll die Basis für einen Dialog der Kulturen sein?

Die Rede des Papstes an der Universität Regensburg stand ganz im Zeichen der Einheit von Glauben und Vernunft und dem Anspruch, christliche Theologie lehre auch „den rechten Gebrauch der Vernunft“. Politisch unterstrich der Papst dieses Vorhaben mit dem programmatischen Satz: „Eine Vernunft, die dem Glauben gegenüber taub ist und Religion in den Bereich der Subkulturen abdrängt, ist unfähig zum Dialog der Kulturen.“ Oder einfacher gesagt: Vernünftig ist es nicht, Religionen den Dialog zu verweigern oder ihnen die Dialogfähigkeit abzusprechen. Das freilich würden auch aufgeklärte Religionsferne oder Religionslose unterschreiben.

Wie der Papst aus Bayern jedoch den Anspruch auf einen Dialog begründete, ist abenteuerlich und läuft auf eine getarnte Abwertung aller anderen Religionen hinaus. Zunächst zitierte er einen Münsteraner Islamwissenschaftler, der den Dialog eines christlichen Kaisers mit einem gebildeten Perser im Byzanz des 14. Jahrhunderts kommentiert hat. Die beiden diskutierten über die Bibel und den Koran. Zwar räumte der christliche Kaiser zunächst ein, dass der Koran jede Gewalt in Glaubenssachen ablehnt (Sure 2,256). Zugleich behauptete er aber, die spätere Entwicklung des Islam habe nur „Schlechtes und Inhumanes“ in die Welt gebracht, darunter auch die Verbreitung des Glaubens durch Gewalt, durch den Dschihad. Um das zu belegen, zitierte Ratzinger nochmals den Münsteraner Professor, der sich seinerseits auf einen französischen Kollegen berief. Der hatte mit Bezug auf den legendären Ibn Hassan (625–670) vertreten, Gott sei allmächtig und somit weder an die Vernunft noch an sein eigenes Wort gebunden. Ibn Hassan war ein Sohn Alis, des Begründers der schiitischen Variante des Islam.

Was wollte uns der Papst mit dieser kurvenreichen Beweisführung mitteilen? Im Unterschied zur Einheit von Glauben und Vernunft im Christentum stehe „der“ Islam mit der Vernunft auf Kriegsfuß. Oder krasser: „Wir“ haben eine vernünftige Religion, „die anderen“ sind vernunftlos Gläubige, also Fanatiker wie die sich geißelnden Schiiten, die man von Fernsehbildern her kennt. Soll derlei Grobzeug die Basis abgeben für die eingangs beschworene Absicht zum Dialog zwischen Kulturen und Religionen?

Die Verknüpfung von christlicher Religion und griechischer Philosophie – also Religion und Vernunft – ist zwar von der Bibel gedeckt („am Anfang stand das Wort“), wurde aber erst auf dem Konzil in Nicäa (325) dogmatisch festgeschrieben. Seither gilt Christus als „wesensgleich“ („homousios“) mit Gott, und die Vermittlung läuft durch Sprache und Vernunft, was im Griechischen Logos heißt. Fast 900 Jahre später wurde 1215 auf dem vierten Laterankonzil „die Realpräsenz“ von „Leib und Blut“ Christi im Ritual des Abendmahls dogmatisch fixiert. Mit Büchern zur Begründung von „Wesensgleichheit“ und „Realpräsenz“ kann man mehrere Bibliotheken füllen. Die fein gehäkelte Argumentation des Papstes gibt einen Eindruck davon, auf wie dünnem Eis man sich bewegt: Ratzinger zufolge meint der Kern des christlichen Glauben, „dass es zwischen Gott und uns, zwischen seinem ewigen Schöpfergeist und unserer geschaffenen Vernunft eine wirkliche Analogie gibt, in der zwar die Unähnlichkeiten unendlich größer sind als die Ähnlichkeiten, dass aber eben doch die Analogie und ihre Sprache nicht aufgehoben werden“. Wie man die „unendliche Unähnlichkeit“ und die „Ähnlichkeit“ bzw. „Analogie“ zusammendenken soll, ist weniger eine Frage der Vernunft als eine reine Glaubenssache. Oder eine intellektuelle Zumutung.

Abenteuerlich ist, dass der Papst mit solchen Dogmen zumindest implizit die Überlegenheit des christlichen Glaubens gegenüber den anderen Religionen beanspruchen möchte: Der christliche Gott ist der vernünftige Gott, was ja im Umkehrschluss nur bedeutet: Der Gott der anderen Religionen ist vernunftfern oder vernunftlos.

Wollte man die aparte päpstliche Beweisführung auf den Katholizismus selbst anwenden, könnte man einfach zurückfragen, warum etwa das Dogma von der „Realpräsenz“, das 1215 beschlossen wurde, vernünftiger oder vernunftnaher sein soll als die anderen Beschlüsse jenes Konzils. Und diese haben es in sich. Sie machten die Theologie für Jahrhunderte zu einer „Polizeiwissenschaft“ (Lothar Baier). Kirche und Theologie folgten der „Vernunft“ und der „Logik“ von Kreuzzugsparolen: „Taufe oder Tod“. Mit Berufung auf den Bibelsatz „nötige sie hereinzukommen!“ (Lukas 14,23) begründete zum Beispiel Bernard von Clairvaux die gewaltsame Bekehrung. Auf dem Konzil von 1215 erklärte die Kirche den Katherern und den Waldensern buchstäblich den Krieg und ließ sie ausrotten. Dasselbe Konzil ordnete die Inquisition an und schrieb Juden vor, einen gelben Stern zu tragen. Es verurteilte auch die englische Magna Charta, die ein Widerstandsrecht gegen königliche Willkür einräumte.

Natürlich würde jeder Vernünftige – ob Katholik oder nicht – einräumen, dass man Benedikt XVI., den heutigen Katholizismus und die heutige Kirche nicht mit dem Hinweis auf Kreuzzüge, Zwangstaufen, Ketzerverfolgung und Hexenverbrennung im Mittelalter moralisch herabsetzen oder vom Dialog ausschließen kann. Doch mit seiner ebenso listigen wie rabulistischen und die offene Polemik vermeidenden Beweisführung, wonach die anderen Religionen an einem Vernunftdefizit leiden, leistet der Papst alles andere als einen Beitrag zum Dialog der Religionen und Kulturen. Mit seiner Rede über „Glaube, Vernunft und Universität“ versuchte er, Feuer mit Benzin zu löschen. Sein „Regensburger Manifest“ (so die FAZ) ist eine in Samt verpackte Brandpredigt.

Die Feuerlöscher stehen auf der säkularen Seite. Einen Monat nach den Attentaten vom 11. September 2001 erhielt Jürgen Habermas den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. In seiner Dankesrede in der Frankfurter Paulskirche konkurrierte Habermas nicht „um den schnellsten Schuss aus der Hüfte“ bei der Interpretation der Ereignisse und verprügelte nicht den „Islamismus“, sondern hielt eine Rede über „die Spannung zwischen säkularer Gesellschaft und Religion“.

Das Konzil von 1215, auf das sich der Papst positiv bezieht, ordnete auch Zwangstaufen und Inquisition an

Er wies daraufhin, dass Religionsfreiheit und weltanschaulicher Pluralismus nur den Gläubigen unter den Bürgern zumuten, „ihre Identität gleichsam in öffentliche und private Anteile aufzuspalten“. Wenn Gläubige von der säkularen Öffentlichkeit gehört werden wollen und wenn sie ihre Ansprüche an diese öffentlich formulieren, müssen sie vom religiösen auf einen säkularen Diskurs umstellen, um verstanden zu werden. Um diese Einseitigkeit zu bekämpfen, muss die säkulare Seite sich öffnen und Sensibilität entwickeln für „die Artikulationskraft religiöser Sprachen“. Damit goss Habermas kein Benzin ins Feuer. Er dürfte mit den „religiösen Sprachen“ etwas mehr und etwas anderes gemeint haben als das rechthaberisch-überhebliche Herzitieren von Dogmen im Namen der Vernunft.

RUDOLF WALTHER