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Archiv-Artikel

„Da bekomme ich das kalte Grausen“

WETTMAFIA Sylvia Schenk von Transparency International erhofft sich vom morgen in Bochum beginnenden Prozess gegen Ante Sapina, dass endlich einmal die Strukturen von Sportmanipulationen offen gelegt werden

Sylvia Schenk

■ 58, startete als Leichtathletin bei Olympia 1972 in München, war von 2001 bis 2004 Präsidentin des Bunds Deutscher Radfahrer und ist seit 2006 für Transparency International tätig. Schenk arbeitet als Rechtsanwältin in Frankfurt am Main.Foto: Transparency International

INTERVIEW JULIANE BENDER

Frau Schenk, wie viele Jahre möchten Sie Ante Sapina im Gefängnis sitzen sehen?

Wenn er schuldig ist, sollte durch das Strafmaß deutlich werden, dass Wettmanipulation kein kleines Delikt ist.

Aber?

Die strafrechtliche Verurteilung allein wirkt nicht auf die Ursache der Problematik ein. Wir sind überzeugt, dass sich die Zahl der Manipulationsaffären im Sport durch Prävention verringern lässt.

Ihnen geht es also weniger um Sapina selbst, sondern vielmehr um den Fall und seine Aufklärung?

Ich freue mich über jedes Verfahren, das intensiv durchgeführt wird. Es ist ärgerlich – gerade bei großen Korruptionsverfahren haben wir das schon gehabt – wenn durch einen Deal zwischen Prozessbeteiligten nicht alles aufgeklärt wird. Dadurch lernen wir nichts über die Strukturen und mögliche Präventionsmaßnahmen.

Sie sagen, Prävention könnte die Anfälligkeit für Manipulationen reduzieren. Welche Maßnahmen gibt es da?

Aktuell arbeiten DFB, Uefa und Fifa ja schon mit technischer Prävention, sogenannten Radarsystemen. Die können ungewöhnliche Wetten aufdecken. Man muss aber auch in den Vereinen und Verbänden ansetzen und von der Jugend aufwärts alle darüber aufklären, wie man in diese Strukturen hineinrutscht – das schließt Trainer, Vorstände und Masseure mit ein. Und es braucht Ombudsleute, denen man Hinweise geben kann, wenn irgendetwas komisch ist.

Das klingt ja, also ob Spieler Manipulationsaufrufe manchmal gar nicht erkennen.

Man merkt manchmal die Anfänge nicht. Im Fußball gibt es Schulterklopfer an jeder Ecke, da wird man hier eingeladen, da eingeladen – man kennt sich. Irgendwann wird eine Insider-Information abgefragt, also zum Beispiel: „Sag mal, wie ist denn die Mannschaftsaufstellung morgen?“ Das muss nicht sofort Bestechung sein, es fließt nicht immer gleich Geld. Manchmal ist es einfach nur die Naivität der Sportler, die sich über heikle Informationen keine Gedanken machen. Man wird nicht von heute auf morgen Krimineller. Man rutscht da rein, indem man sich abhängig macht und nach der fünften Einladung nicht mehr Nein sagen kann. Man kann sich erpressbar machen, etwa durch Spielschulden oder durch das, was einer von einem weiß. Darüber muss man aufklären, auf Spieler zugehen, nachfragen, ob alles in Ordnung ist.

Sportwetten sind in Deutschland staatlich reguliert und nur beim Anbieter Oddset und bei Pferderennen legal. Halten Sie dieses System für anfällig?

Wenn man etwas verbietet oder einschränkt, wofür einfach Interesse besteht, dann sucht sich dieses Interesse andere Kanäle. Und je mehr Schwarzmarkt es bei Sportwetten gibt, je unübersichtlicher der ganze Bereich ist, desto größer ist die Gefahr, dass sich da zwielichtige Elemente betätigen. Besser wäre ein System, in dem Sportwetten im Internet in Deutschland offiziell zugelassen sind. Denn das Interesse ist da, solche Angebote zu nutzen.

Sie sind also für eine Liberalisierung des deutschen Sportwettenmarkts.

Ja – mit klarer Regulierung.

Aber das Monopol gibt es ja, um vor allem der Spielsucht vorzubeugen.

Umso absurder ist es, dass Bayern-Lotto jetzt als Sponsor für die Olympia-Bewerbung 2018 auftritt. Das ist fatal, da kriege ich als Juristin das kalte Grausen.

Das war auch der Tenor des Europäischen Gerichtshofs. Der urteilte bereits Anfang September, das Monopol für Glücksspiel sei zwar nicht grundsätzlich rechtswidrig, aber dann dürfe man dafür auch keine Werbung betreiben …

DER PROZESS

■  Ab dem 6. Oktober muss sich Ante Sapina (34) vor dem Amtsgericht Bochum verantworten, weil er insgesamt 172 Fußballspiele verschoben haben soll. Spiele, die nicht nur den deutschen Fußball ab der zweiten Bundesliga abwärts betreffen, sondern auch die Schweiz, Ungarn, die Türkei, den Balkan und die erste kanadische Soccer League. Ante Sapina soll geständig sein und kann deshalb auf ein vergleichsweise mildes Urteil hoffen. Trotzdem: Er ist Wiederholungstäter, ihm drohen mehrere Jahre Haft. Dass er dann erneut in den Genuss einer Haftverkürzung kommen wird, darf angezweifelt werden. Sapina war Haupttäter in der Affäre um Schiedsrichter Robert Hoyzer und wurde 2005 wegen Betrugs zu zwei Jahren und elf Monaten verurteilt. Seine Zeit hinter Gittern vertrieb er sich mit neuen Spielmanipulationen und Wettbetrug. JUB

… was in Deutschland regelmäßig übergangen wird. Es darf nicht der Eindruck erweckt werden, dass jemand, der spielt, damit einer guten Sache dient. Aber es gibt Lotto-Plakate, da steht: „Wir helfen dem Sport und der Umwelt. Mit ihrem Spielbeitrag helfen Sie mit“. Völlig absurd!

Damit meint die Lotterie die Abgaben an Kultur, Sport und soziale Projekte – 2009 bundesweit zuletzt 2,6 Milliarden Euro.

Diese Förderung ist genau das, was der EuGH uns um die Ohren gehauen hat. Das darf niemals der alleinige Grund für ein Monopol sein, dafür muss der Staat auf anderem Wege sorgen. Trotzdem – und insofern ist das alles Heuchelei, was die letzten Jahre stattgefunden hat – war der eigentliche Grund für dieses System niemals die Suchtprävention, sondern immer dieses Fördergeld.

Deutschland ist nun in der Pflicht, sein Glücksspielsystem zu überarbeiten. Aber wie realistisch ist eine – von Ihnen favorisierte – Privatisierung, wenn dadurch ein derart großes Loch in Kultur- und Sporthaushalt entstehen könnte?

Mir geht es mit der Privatisierung nur um die Sportwetten. Bei Lotto ist die Manipulationsgefahr meines Wissens sehr gering, das kann gern im Monopol bleiben. Und die wesentlichen Einnahmen für die Kultur- und Sportförderung kommen ja aus dem Lotto, nicht aus den Sportwetten. Wenn man nur die Sportwetten freigibt, könnte man über Steuern oder Konzessionsabgaben den Teil wieder reinkriegen, den man jetzt über Oddset einnimmt. Und mit dem Schwarzmarkt gleichzeitig die Korruption besser bekämpfen.

Manipulationsvorwürfe beeinträchtigen ja nicht nur die Freude am Sport, sondern seine Glaubwürdigkeit insgesamt. Tut die öffentliche Aufklärung dieser Fälle dem Sport gut?

Der Sport hat gar keine andere Wahl, als offensiv damit umzugehen. Denn die Vorwürfe, über Spielmanipulationen oder Doping ein Ergebnis zu verfälschen, treffen den Sport im Mark – es macht das ganze Produkt kaputt und wertlos. Überall dort, wo wir starke Unterwanderungen durch Spielmanipulationen hatten, ist die Sportart schnell in den Keller gegangen, so beispielsweise im chinesischen oder auch im polnischen Fußball. Sponsoren ziehen sich zurück, und es kommt sofort ein Rattenschwanz von Wirkungen. Außerdem: Wenn Sportler merken, ihr Verhalten wird totgeschwiegen, dann fühlen sie sich gedeckt. Das hatten wir lange Zeit im Doping. Da muss was passieren. Man muss zeigen, dass man daraus lernt.