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Archiv-Artikel

„Das ist, als wäre er taubstumm“

Eine Gesprächsrunde in Tenever zeigte einmal mehr die Probleme der Integration verschiedener Kulturen auf. Der viel beschworene Dialog bleibt vorerst eine Sache von wenigen. Und zu oft werden unerfüllbare Forderungen laut

Miteinander „kommunizieren“ und „in Dialog treten“. Das waren die Worte, die am Freitagabend im Haus im Park über Gebühr gebraucht wurden. Eingeladen hatten Stadtteilinitiativen aus Tenever und Osterholz – zu einer Gesprächsrunde über das Zusammenleben verschiedener Kulturen und Nationalitäten.

Doch wie so oft bei solchen Veranstaltungen blieben die 50 Deutschen – ohne jeglichen „migrantischen Hintergrund“ – unter sich und tauschten Altbekanntes aus. Eine Kindergärtnerin sprach darüber, dass man sich in seiner Verschiedenheit akzeptieren müsse. Lehrer klagten, dass türkische Eltern nicht an Elternabenden teilnehmen und ihre Töchter nicht an Klassenfahrten teilnehmen lassen, die darüber hinaus von ihren Brüdern schikaniert würden. Und die Sprachkenntnisse, ohne die ginge es ja gar nicht, war man sich einig.

Spannend wurde der Abend erst in dem Moment, als sich die einzigen beiden erwachsenen Migranten zu Wort meldeten, begeistert empfangen von Moderator Ottmar Willi Weber und Publikum. Schnell wurde durch ihre Äußerungen klar, dass der viel beschworene Dialog beiden Seiten viel abverlangt.

Türkische Mädchen könnten gar nicht von ihren Brüdern unterdrückt werden, argumentierte der Sprecher der Hemelinger Kuba-Moschee, N. Tepe, weil sich Familienmitglieder lieben. Außerdem stellte er klar, dass er als praktizierender Muslim große Bedenken habe, seine Kinder auf Klassenfahrt zu schicken, egal ob Mädchen oder Junge. Zu groß sei die Gefahr in Versuchung gebracht zu werden, sei es in Bezug auf Alkohol oder unerwünschte sexuelle Kontakte. „Vielleicht kann man darüber nachdenken, ob Eltern mitfahren“, schlug er vor und erntete dafür Zustimmung.

Über die Konsequenzen einer solchen Regelung wurde nicht diskutiert, obwohl es an dem Punkt interessant geworden wäre. Müssten die Erwachsenen die Jugendlichen permanent kontrollieren oder gar mit in deren Zimmern schlafen? Länger hielt man sich stattdessen bei der Frage auf, wie in den Landschulheimen die Mahlzeiten so zubereitet werden können, dass muslimische Kinder sie ohne Bedenken essen können.

Wie oft Integration bedeutet, dass an Migranten in Deutschland Forderungen gestellt werden, ohne die Voraussetzungen für deren Erfüllung zu schaffen, machte H. A. Altinisik deutlich, der wie Tepe die Kuba-Moschee besucht. Er wisse selbstverständlich, wie wichtig Deutsch-Kenntnisse für seine drei Kinder seien, sagte er. Es mache ihn traurig, wenn sein Sohn von anderen Kindern nicht verstanden werde. „Das ist, als wäre er taubstumm.“ Liebend gerne würde er seine Kinder nicht nur ein, sondern zwei Jahre in den Kindergarten schicken, doch das könne er sich nicht leisten. „Wenn es einen kostenlosen Sprachkurs für Vierjährige gibt – ich bin sofort dabei.“ Schon jetzt graue ihm vor dem ersten Elternabend in der Grundschule, wenn die Lehrerin ihn dafür kritisieren werde, dass sein Sechsjähriger noch nicht gut genug Deutsch spreche. „Das war bei dem Achtjährigen auch schon so, da hieß es: ,Ich weiß nicht, was ich mit ihm machen soll‘.“

Das Schlusswort sprach an dem Abend der Stadtteilmanager von Tenever, Joachim Barloschky. „Miteinander reden und uns besuchen reicht nicht“, sagte er. „Was wir vor allem brauchen sind Lehrstellen und Arbeitsplätze.“ Wer sich in die deutsche Gesellschaft integrieren solle, dürfe außerdem nicht von Abschiebung bedroht sein. Was das bedeutet, hatte zuvor Mehmet Pisit eindrucksvoll geschildert. Nach 18 Jahren in Deutschland sollte er in die Türkei abgeschoben werden, weil seine aus dem Libanon stammenden Eltern mit ihm als Zweijährigen über die Türkei eingereist waren. Nach einer großen Kampagne darf er jetzt doch bleiben. Jedenfalls für ein Jahr.

Eiken Bruhn