: Trip in die Steinzeit
Vorwärts im Rückwärtsgang: Der FC Energie Cottbus ringt Mainz 05 mit 2:0 nieder. Das Stadion der Freundschaft erweist sich wieder einmal als Bollwerk und Bühne für kompromisslose Abstiegskämpfe
AUS COTTBUS MARKUS VÖLKER
Die Jubelarbeit war geleistet, da näherte sich Petrik Sander schon wieder dem Boden der Tatsachen. Der Trainer des FC Energie Cottbus schritt aufs Spielfeld, schnappte sich einen Rasenbatzen und pfropfte ihn in die Grasnarbe. In Cottbus ist jeder für jedes zuständig. Der Coach kann schon mal zum Greenkeeper werden, eines ist jedoch unmöglich: dass der Verein aus der Lausitz schönen Fußball spielt. Das 2:0 über den FSV Mainz 05 war mit einem üblen Gerumpel erkauft. Das Spiel gehörte zu den schlechtesten der Bundesligageschichte. Jedem Fußballästheten drehte es den Magen um. Für die Zuschauer war das Treiben der 22 im Stadion der Freundschaft kaum spannender als den Spreewälder Gurken beim Wachsen zuzusehen. Gurkentöpfisch zerstörten Sanders Spieler jeden Anflug eines gepflegten Kicks.
Der Energie-Coach hatte natürlich eine andere Perspektive auf das Spiel. Er kennt die Mäkelei der Außenstehenden, das Gemosere am hässlichen Energiewerk. Sander macht das nichts aus. Er weiß, dass die Destruktivität respektive Bissigkeit und Diszipliniertheit der Cottbuser zum Erfolg führen. Deswegen hat er seiner Elf in der Halbzeit auch gesagt: „Genau so spielen wir weiter, auch wenn das einigen nicht passt. Das ist unser Spiel. Fußball ist erfolgsorientiert. So sind wir auch aufgestiegen.“
Es geht in der Lausitz also nicht um fußballromantische Werte wie Schönheit oder Ästhetik, es geht sehr pragmatisch um den Verbleib in der ersten Liga, und das mit beschränkten, aber effektiven Mitteln. Zum „Spiel“ des FC Energie gehört, dass der Gegner auf eine Reise in die Fußballsteinzeit geht, ob er will oder nicht. Es entsteht so eine Art Reisekoller. Der Gast ist zuerst verwundert, dann perplex, verunsichert, entnervt – und schließlich unkonzentriert. Jetzt hat der FC Energie das Gästeteam, wo er’s haben will.
An diesem Ort der Verunsicherung setzt der Energetiker zum Dribbling an oder nutzt einen Patzer des Gegners oder verwertet eine der merkwürdigen Bogenlampen in den Strafraum. Die Mainzer müssen sich vorgekommen sein, als hätten sie das Fußballspielen verlernt. Entsprechend gereizt reagierte Torwart Dimo Wache, dessen Fehler zum 0:1 geführt hatte. Einen Fernsehreporter, der nur wissen wollte, ob die Mainzer Abwehr künftig besser stehe, blaffte er an: „Da hab ich nichts zu zu sagen auf so eine dämliche Frage.“
Souveräner meisterte Waches Trainer Jürgen Klopp die Fragerunde, wenngleich sein Lächeln sehr schmallippig war. „So wenig Offensivaktionen zu haben ist nicht einfach, das ist nicht unsere Mentalität“, sagte er, „unsere Jungs mussten sich zur Disziplin zwingen.“ Am liebsten wären sie wohl schon zur Halbzeit unter die Dusche gegangen, um nicht noch mal 45 Minuten unter dem Diktat der Destruktivität zu leiden. „Mit Geduld“, glaubte Klopp, „wären wir auch zu unseren Möglichkeiten gekommen.“ Geduld gehört aber nicht zu den hervorragenden Mainzer Eigenschaften. „Sie fällt uns nicht superleicht“, räumte Klopp ein. Cottbus ist dagegen aus einem anderen Holz geschnitzt. „Denen ist das wurscht, die ziehen das durch“, sagte Klopp mit einer gewissen Bewunderung für die Geradlinigkeit des Gegners.
Klopp war klar, dass das Spiel so laufen wird. Das Videostudium der Partie Cottbus gegen den Hamburger SV hatte in ihm die Erkenntnis reifen lassen, dass es in der Lausitz sehr unschön werden könnte. Er sollte Recht behalten. „Hier werden sich noch einige richtig schwer tun“, prognostizierte Klopp am Samstagnachmittag. Wenn dem HSV und den Mainzern die Spielfreude vergangen ist, warum sollte es Werder Bremen, dem VfB Stuttgart oder Arminia Bielefeld anders ergehen?
Sander freute sich also exklusiv über das Match, seine Augen leuchteten sogar, als er das zweite Tor nachvollzog. „All jenen, die immer sagen, wir können nicht Fußball spielen, sollten sich mal das 2:0 anschauen.“ Es war ein schöner Konter mit schöner Hereingabe, mehr nicht. Sander wollte den Spielzug nichtsdestotrotz ins Fußballlehrbuch aufnehmen, dabei stehen dort im Kapitel über den FC Energie ganz andere Dinge. Petrik Sander kennt diese Lehrsätze. Der wichtigste lautet: „Wir wollen hier im eigenen Stadion alles verteidigen, und da müssen alle den Rückwärtsgang einlegen.“