: Ein vorgezogener Rückblick
Es war ein maßgeschneiderter Wahlkampf, ausgerichtet nur auf Klaus Wowereit. Kein Wunder, hat sich der SPD-Politiker doch längst als populärster Berliner Bürgermeister seit Willy Brandt etabliert
von JAN FEDDERSEN
Friedbert Pflüger, dieser tapfere Spitzenkandidat der Union, hat ein so aussichtsloses Unterfangen gewagt, dass ihn allein schon diese Chuzpe aufwertet – unabhängig vom Ausgang der Wahl.
Anders als der Spitzenkandidatenvorgänger Frank Steffel vor fünf Jahren hat Pflüger keine Ressentiments gegen Minderheiten verströmt, nein, er hat, beispielsweise, brav während des Berliner CSD seine liberale Gesinnung bekundet. Aber sein mächtiger Kontrahent wirkte einfach kerliger. Wowereit, der offen schwule Sozialdemokrat, stellte – und tut dies sicherlich weiter –das Klischee auf den Kopf: Der bekennende Heterosexuelle Pflüger machte einen weichen Eindruck, sensibel bis in seine Körpersprache, eine Landesmutter in spe im quasi biologisch männlichen Körper. Wowereit hingegen nimmt sich wie ein Kerl aus. Seine Gesten dementieren alles, was man über Homosexuelles zu wissen glaubt. Man denke nur an den kraftstrotzender Auftritt, mit dem er 2001, noch nicht gewählt, seine Achillesferse mit einer Stahlmanschette umwickelte: „Ich bin schwul – und das ist auch gut so.“
Kann so einer gewinnen?
Wer war damals schon Wowereit? Ein echter, geborener, ja, eingeborener Berliner Politiker, 47 Jahre, Jurist im öffentlichen Dienst, ein Strippenzieher im nur fahl erleuchteten Hintergrund – aber interessiert, jede Sekunde, an Einfluss, also Macht. Seiner Partei stockte der Atem: Kann so einer Wahlen gewinnen? Gegen Takt und Ton hüstelnder Kleinbürgerlichkeit wie in Zehlendorf, Steglitz oder Tempelhof? Er konnte, haushoch sogar.
Gegen ihn nahm sich Steffel als Dekorateur aus, und nicht einmal als einer der eigenen Macht. Steffel ist nämlich jetzt eine Fußnote der Berliner Zeitläufte, und Wowereit eine Sonne der Landespolitik – um ihn und seine Partei herum nur Monde, Satelliten, Sterne und verglühte Nebensonnen.
Nun hatte das Publikum sich unter einem schwulen Bürgermeister gewiss allerlei vorgestellt. Dass er feinsinnig über Kunst parliert und in puncto Design nicht nur über Tupperschachteln sprechen kann; dass er mit Frauen besonders kann außer das eine und vor heterosexueller Männerwucht einknickt. All dies hat Wowereit auf das Unangekündigste dementiert. Im Bundesrat war er es, der, als Vorsitzender, beim neuen Staatsbürgerschaftsrecht den Zorn der Union auf sich zog – was erfrechte sich dieser, die eierschaukelnden Motzereien von Müller (Saarland) und Koch (Hessen) kühl zu parieren: Es war ein Highnoon zu seinen Gunsten – und die anderen sahen gegen ihn aus wie beleidigte Kläffer.
Dass Bundespräsident Rau später das Verhalten Wowereits rügte, machte den Berliner Regierenden nur noch angesehener: War wohl nicht in Ordnung, hieß es, aber er hat etwas riskiert. Auch die bürgerliche Klage voriges Jahr, als Wowereit das Sexfetischistenfestival Folsom mit einem Grußwort bedachte, verlief unappetitlich im Sande: Da versuchte die Union, die ja selbst, Jahr für Jahr, viele Besucher auf dieser Leistungsschau der „Krasser Ficken“-Szene stellt, den Bürgermeister wegen etwas fertig zu machen, was in Berlin „jar nich jeht“: moralische Überheiztheit – und dann noch mit den Fingern auf andere zeigen, aus Neid, weil einem selbst nur die ungesellige Kunst der Masturbation eigen ist.
Wowereits Schwulsein, anders gesagt, ist offenbar deshalb in Ordnung, weil sie nicht als Opferausweis daherkommt. Er ist so männlich, wie es einst, als biologische Frau, Maggie Thatcher war. Freundlich und bestimmt nach außen, intern aber von kältester Smartheit.
In der Spitze der SPD, wo ein Kurt Beck die intellektuelle Ratlosigkeit der Achtziger, kurz nach Helmut Kohls Wahl, wiederzubeleben scheint, muss man Wowereit, den wiedergewählten Regierenden Bürgermeister von Berlin, mögen: Viele Landeschefs hat sie ja nicht. Aber lieben? Ein schwuler Politiker, der ganz nach oben kommen möchte? Nein.
Wowereit war und ist der populärste Berliner Bürgermeister seit Willy Brandt. Er kommt in Altersheimen so gut an wie beim CSD, weiß sich in Kleingartenkolonien gut zu benehmen wie beim Spatenstich für den neuen Flughafen Schönefeld. Er hat, sagen Wahlforscher, etwas Landesväterliches. Der First Gentleman, Jörn Kubicki, ergänzt dieses Tableau auf das Neubürgerlichste: ein Paar, das sich um Bilder von dem, was es zu verkörpern hat, nicht schert.
Die Union dürfte in Berlin an einem zerschellt sein, der männlicher, in ihrem Sinne heterosexueller, hauptstädtischer und souveräner auftritt als alle ihre Notkader wie dieser, der aus Hannover kam und sein Mädchenhaftes nie ganz verlor: Das machte den Unterschied.