: Lächeln in der Dunkelheit
AGITPOP Von Gewalterfahrung und wie man sie wieder loswerden kann: Yoko Onos Ausstellung „Das Gift“ bietet in der Galerie Haunch of Venison Heilungskonzepte an
YOKO ONO
VON JULIA GWENDOLYN SCHNEIDER
Wenn Yoko Ono über ihre aktuelle Ausstellung in Berlin spricht, ist ihr eine Arbeit besonders wichtig. „Am Ende gibt es einen Raum, in dem wir alle unser Lächeln verschenken können.“ Es wird aufgenommen und ist sofort Teil des interaktiven Films „Berlin Smile“ und Onos Internetprojekts „Smiling Face Film“, in dem Menschen um den ganzen Globus herum für den Frieden lächeln. „Wir haben oft nur eine Welt voller Gewalt und Krieg im Kopf und haben solche Angst davor, dass wir allein daran denken. Wir müssen uns aber eine friedliche Welt vorstellen, sonst wird es sie nie geben“, sagt die 77-jährige Künstlerin und Friedensaktivistin, die bereits in den 1950er Jahren erste Happenings und Performances inszenierte und später treibende Kraft der Fluxus- und der Flower-Power-Bewegung wurde.
Einschusslöcher
Schon 1968 hatte Ono zusammen mit John Lennon die profane Aktivität des Lächelns auf eine fast mythische Ebene gehoben. „Smile“ ist ein 52 Minuten langes Porträt von Lennons Gesicht, das durch einen Slow-Motion-Effekt ganz gemächlich sein Grinsen offenbart. Es tut gut, dass solche historischen Arbeiten auch gezeigt werden, denn thematische Kontinuitäten und das Weiterentwickeln einzelner Werke sind für Onos künstlerische Arbeitsweise prägend.
Zu sehen sind unter anderem auch Aufzeichnungen ihrer wohl berühmtesten Performance „Cut Piece“, bei der sie das Publikum aufforderte, ihr die Kleider vom Leib zu schneiden. Ono machte damit auf Verletzbarkeit von Frauen aufmerksam – auf den Horror, körperlichen Übergriffen ausgeliefert zu sein oder lediglich als ein visuelles Objekt betrachtet zu werden. In „Grapefruit“, ihrem legendären Buch mit Performanceanweisungen von 1964, wird die Möglichkeit, dass ein Mann diese Arbeit aufführt, aber nicht ausgeschlossen. Verletzbarkeit betrifft eben doch alle Menschen. Wie „Cut Piece“ zeigt, kann Gewalt durchaus ein wichtiges Thema in Onos künstlerischer Arbeit sein. So auch in der Berliner Schau, die sich aber eigentlich für den Frieden starkmacht. Auf einer abstrakten Ebene spielt Ono auf diese Zweigleisigkeit an. „Ich habe bewusst den deutschen Titel: „Das Gift“ gewählt, denn Gift ist zum einen etwas sehr Gefährliches, bedeutet im Englischen aber auch Geschenk, diese Gegensätzlichkeit finde ich spannend.“ Bevor wir die Möglichkeit haben, der Welt unser Lächeln für den Frieden zu schenken, befinden wir uns dann auch tatsächlich in einem beklemmenden Szenario. Der Raum ist schummrig und von nicht zu lokalisierenden Geräuschen durchdrungen. Aus einem verborgenen Lautsprecher dringen abwechselnd das Geschrei von Möwen und Krähengekrächze, in das sich die schallenden Laute von Zikaden mischen. Der Klang erinnert in dieser Situation aber vor allem an qualvolles Leid. Schließlich werden wir zugleich über eine enorme Projektionsfläche mit unscharfen Aufnahmen globaler Gräueltaten konfrontiert und sehen neben uns Militärmäntel mit Einschusslöchern von der Decke baumeln. Solche brutalen Zeugnisse erzeugen einen klaren Eindruck, sie wirken aber auch schnell eindimensional, da sie zu nah am täglichen Medienbild kleben.
Augenhöhe
Auf die Frage nach der Grausamkeit in ihrer aktuellen Schau meint Ono, dass sie die Realität nicht unter den Teppich kehren möchte, zugleich böte sie aber auch Heilungskonzepte an. „Wenn wir unsere Gewalterfahrungen im Gedächtnis aufbewahren, holen sie uns ein. Wir müssen sie wieder loswerden.“ Eine Möglichkeit dazu offerieren neun Berliner Stadtpläne, an die die Besucher Zeugnisse ihrer persönlichen Gewalterlebnisse heften können. Der anvisierte therapeutische Effekt der Gemeinschaftserfahrung wirkt allerdings etwas zu plakativ.
Poetischer setzt sich „Pieces of Sky“ mit der Thematik auseinander, eine Installation, bei der auf Augenhöhe Militärhelme hängen, aus denen „Himmelsstücke“ in Form von Puzzleteilen entnommen werden können. Dass Ono nicht nur das allgemeine Leid der Welt thematisiert, sondern auch die Ermordung von John Lennon, wird aus der Arbeit „A Hole“, einer Glasplatte mit einem Einschussloch, unschwer ersichtlich. „Ich kann nicht sagen, dass die Gewalt, die mir begegnet ist, schlimmer war als andere Gewalt, aber für mich war sie schwer zu ertragen. Es gab eine Zeit, wo ich untergehen konnte oder überleben. Ich habe mich fürs Überleben entschieden.“
■ Yoko Ono, Das Gift, Haunch of Venison, Heidestr. 46, bis 13. 11.