: Schwer vermittelbar
ZUWENDUNG Listenhunde gelten als unwiderlegbar gefährlich. Und warten häufig Jahre im Tierheim auf Herrchen oder Frauchen. Die kommen meist aus dem Hamburger Umland, weil die Haltung dort anders als im Land Hamburg nicht grundsätzlich illegal ist
■ Der sechsjährige Volkan wird am 26. Juni 2000 in Hamburg-Wilhelmsburg von zwei Hunden tödlich verletzt. Der Halter hatte gegen Haltungsvorschriften verstoßen und seinen Tieren keine Maulkörbe angelegt.
■ Zwei Tage später verbietet der Senat Haltung, Zucht und gewerblichen Handel von mehreren Hunderassen – einige müssen binnen fünf Monaten aus dem Verkehr gezogen werden: Pitbull, American Staffordshire Terrier, Staffordshire Bullterier.
■ Die Bild-Zeitung ruft dazu auf, „Kampfhunde“ und ihre Halter zu denunzieren.
■ Eine Sicherheitsdebatte entbrennt, aus der das Hamburger Hundegesetz resultiert.
■ Zwei Mal wird das Gesetz evaluiert – bis der Gesundheitsausschuss 2012 befindet, Überprüfungen seien nicht mehr notwendig. Das Gesetz ist nun festgeschrieben. SHE
Pitbull Terrier, American Staffordshire, Staffordshire Bullterrier und deren Mischlinge sind so genannte „Listenhunde“, weil sie auf einer Liste stehen, die Bestandteil des Hamburger Hundegesetzes ist. Wer als Hund dieser Rassen geboren wurde, gilt als unwiderleglich gefährlich – und wird weggesperrt, selbst wenn ein bestandener Wesenstest zeige, wie friedfertig das Tier sei, erklärt Katharina Woytalewicz. Sie ist Veterinärmedizinerin und leitet das Tierheim in der Hamburger Süderstraße. Dort landen die Listenhunde. „In der Regel als Sicherstellungen, das heißt, sie werden aus schlechter, unsachgemäßer Haltung geholt“, sagt Woytalewicz. „Oder der Halter kann keine Erlaubnis vorweisen, einen Kategorie-Hund zu halten.“
Zurzeit leben 33 Listen-Hunde im Tierheim Süderstraße. Sie sind oft für Jahre dort untergebracht, wenn sich keine geeigneten Halter finden, die sie adoptieren wollen. Viele sind seit ihrem Welpenalter im Tierheim. „Man muss sich einmal vorstellen, was dieses Gesetz den Steuerzahler kostet – denn das Land Hamburg muss für jeden Hund einen Tagessatz für die Unterbringung und Versorgung zahlen“, sagt Woytalewicz. Der decke aber gerade das Nötigste. Artgemäße Beschäftigung wird ehrenamtlich von GassigeherInnen geleistet oder vom Tierheim getragen, etwa wenn Hundetrainerin Susanne David mit den Hunden arbeitet. „Oft nehmen unsere MitarbeiterInnen die Welpen mit nach Hause, um ihnen eine gute Sozialisierung zu ermöglichen“, so Woytalewicz. „Die Hunde müssen Kontakte nach draußen haben – darum sind hier die GassigeherInnen auch sehr wichtig.“
Ziehen die mit ihren Schützlingen los, so unterliegen die Vierbeiner per Gesetz dem Leinen- und Maulkorb-Zwang. Doch für Susanne David, Leiterin der Hundeschule im Tierheim, steht fest: „Es sind ganz normale Hunde, sie haben Stärken und Schwächen wie alle anderen Hunde auch. Ich trainiere mit ihnen nicht anders als mit den übrigen Tierheim-Hunden.“
Die Vermittlungschancen für Kategorie-Hunde sind schlecht, da es in Hamburg nahezu unmöglich ist, eine Haltungserlaubnis für Hunde der oben genannten Rassen zu bekommen. Dafür muss ein besonderes, berechtigtes Interesse bestehen oder wissenschaftliche Gründe vorliegen. „Wir vermitteln ins Hamburger Umland und deutschlandweit – denn kaum hat man mit dem Tier die Landesgrenze passiert, wird aus einem ,Kampfhund‘ ein ganz normales Haustier“, beschreibt Susanne David die rechtliche Situation. „Wir hatten schon Interessenten, die haben sich in einen Listenhund verliebt und sind wegen ihm ins Umland gezogen“, sagt Woytalewicz.
Selbstverständlich schauen sich die Mitarbeiter genau an, wie sachkundig die zukünftigen Halter mit dem Hund umgehen, machen Hausbesuche. Und es gibt durchaus Erfolgsgeschichten: Maribel Rico, eine ehrenamtliche Mitarbeiterin des Tierheims, kannte Kategorie-Hunde nur aus Horrorberichten und hatte zunächst Berührungsängste. Im Umgang mit ihrem neuen Schützling Amigo, als Mischling aus American Staffordshire Terrier und Labrador laut Hamburger Hundegesetz als gefährlich klassifiziert, stellte die Gassigeherin bald fest, dass der Dreijährige sich verhält wie seine Artgenossen auch. „Er ist sehr stürmisch, und manchmal habe ich das Gefühl, dass er verzweifelt ist. Er sucht Nähe, noch stärker als andere Hunde, die ich kenne“, beschreibt Maribel Rico.
Amigo kam 2007 als Sicherstellung im Alter von wenigen Wochen ins Tierheim, nachdem ihn die Polizei aus einem Vogelkäfig befreite. Rico unternimmt viel mit Amigo, geht mit dem Rüden zur Hundeschule, konfrontiert ihn mit größeren Menschenmengen und auch mit Artgenossen. Schließlich sozialisiert sie Amigo mit ihren eigenen Hunden. Das klappt gut und Familie Rico entschließt sich, Amigo aufzunehmen. Seit 2013 lebt er offiziell bei den Ricos im Hamburger Umland, mit drei weiteren Hunden, Enten und anderem Getier.
„Man muss diese Hunde nicht lieben“, sagt Maribel Rico, „es reicht schon, wenn man sie gerecht behandelt.“ 2012 organisierte sie die Kampagne „Initiative für Gerechtigkeit“ gegen Vorurteile und für ein gerechteres Hundegesetz – und erhielt dafür den Deutschen Tierschutzpreis.SABINE HENSSEN
Das Tierheim Süderstraße bietet Trainings für alle Rassen an oder bereitet das Hund-Halter-Gespann auf die Gehorsamsprüfung zur Befreiung von der Anleinpflicht vor. E-Mail: hundeschule@hamburger-tierschutzverein.de, ☎ 01520 - 908 60 27
GassigeherInnen machen Tierheimhunde glücklich! Mehr Infos unter ☎ 21 11 06 13