: Am Nil tickt eine Zeitbombe
SUDAN Eigentlich soll Südsudan am 9. Januar 2011 über seine Unabhängigkeit abstimmen. Vielleicht beginnt aber dann stattdessen Krieg. Nord und Süd sind auf Konfrontationskurs
■ Deutschland will sich stärker im Sudan engagieren. Nach epd-Informationen sollen laut einem neuen Sudan-Konzept der Bundesregierung Friedensprozesse und Krisenprävention unterstützt werden. Schwerpunkte seien die Begleitung des Referendums über die Unabhängigkeit des Südsudan am 9. Januar 2011, das 2005 im Friedensvertrag zur Beendigung des Krieges um Südsudan vereinbart wurde, sowie die Stabilisierung des Südsudan und humanitäre Hilfe in Darfur. Es gelte, neue Krisen großen Ausmaßes zu vermeiden, heißt es. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) wollte gestern Nachmittag mit seinem sudanesischen Amtskollegen Ali Karti in Berlin zusammentreffen.
VON MARC ENGELHARDT
NAIROBI taz | Zwei Wochen war Salva Kiir in den USA unterwegs, um Unterstützung für Südsudans Weg zur Unabhängigkeit einzufordern. Offenbar mit Erfolg. Nach seiner Rückkehr schlug der ansonsten so zurückhaltende Präsident der südsudanesischen Autonomieregierung einen kämpferischen Ton an. „Der Termin für die Volksabstimmung ist uns heilig“, rief Kiir seinen Anhängern in der südsudanesischen Hauptstadt Juba zu. Die Regierung von Sudans Präsident Omar al-Bashir habe gezeigt, dass sie an einer gleichberechtigten Einheit kein Interesse habe. „Die Einheit ist für uns deshalb keine Option mehr“, so Kiir. „Am 9. Januar 2011 werden die Südsudanesen mit überwältigender Mehrheit für die Unabhängigkeit stimmen.“ Unter dem Jubel seiner Zuhörer beschwor Kiir den Kampfgeist der einstigen Rebellen. „Es kann euch passieren, dass euer Anführer ermordet wird, in diesem Fall müsst ihr Widerstand leisten.“
Die Kampfansage Kiirs folgt einer monatelangen Verzögerungstaktik des Regimes in Khartum. So ist die Grenze zwischen dem islamisch-arabischen Norden und dem eher afrikanisch-christlich geprägten Süden Sudans bis heute nicht genau definiert, weil die Regierung in Khartum in schöner Regelmäßigkeit alle Kandidaten von Kiirs im Süden regierender Exguerilla SPLM (Sudanesische Volksbefreiungsbewegung) in der Grenzkommission ablehnt. Die Kommission zur Vorbereitung des Unabhängigkeitsreferendums ist auch nicht voll arbeitsfähig, weil Khartum ohne Rücksicht auf die SPLM auf einen kaum kompromissfähigen Kandidaten als Vorsitzenden drängte. Als die SPLM Omer al-Sheikh schließlich zähneknirschend akzeptierte, um Bewegung in die Vorbereitungen zu bringen, reichte al-Sheikh alsbald seinen Rücktritt ein. Das Warten ging weiter.
Dass der Süden nicht mehr bereit ist, sich solche Tricks gefallen zu lassen, zeigt nicht zuletzt der Auftritt des aus dem Süden stammenden Vizepräsidenten der Referendumskommission, Chan Reec. Am Vorabend des Besuchs einer Delegation des UN-Sicherheitsrats, die gestern im Sudan eintreffen sollte, bekräftigte Reec, die Volksabstimmung werde wie geplant am 9. Januar 2011 stattfinden. „Wir werden dieses Jahr nicht Weihnachten feiern, weil wir so viel vorbereiten müssen“, gab Reec sich jovial. Am 14. November soll ihm zufolge die Registrierung der Wahlberechtigten beginnen, binnen drei Wochen soll sie abgeschlossen sein. Das scheint im Südsudan, einer nahezu unerschlossenen Region von der Größe Frankreichs, zwar kaum erreichbar – aber es geht ums Prinzip. „Wenn es unvorhersehbare Gründe für eine Verschiebung gibt, dann wird es sich nicht um mehr als ein oder zwei Wochen handeln“, sichert Reec zu. Selbst bei den Wahlzetteln will der Süden sich nicht mehr auf Khartum verlassen: Reec will die Unterlagen in den USA drucken lassen. Derartiges kann sich die südsudanesische Regierung nur leisten, weil die US-Regierung nach langem Zögern wieder hinter Kiir steht.
Die Zeit drängt: Sollte der eigentlich vertraglich festgeschriebene Termin für das Unabhängigkeitsreferendum kippen, könnten die Versuche von Sudans Präsident Bashir aufgehen, die Stabilität im Süden zu erschüttern. So rüstet Khartum nicht nur die ugandische Rebellenbewegung LRA (Widerstandsarmee des Herrn) auf, die neben Teilen der Demokratischen Republik Kongo und der Zentralafrikanischen Republik auch weite Gebiete Südsudans unsicher macht, sondern auch diverse abtrünnige Warlords in den Provinzen Jonglei, Unity und Upper Nile.