Hessen fordert Zertifikat für Saatgut ohne Gentechnik

LANDWIRTSCHAFT Ministerin nimmt Hersteller in die Pflicht. Ökobauern fürchten schlechteren Standard

BERLIN taz | Die hessische Landesregierung verlangt ein verpflichtendes „Gentechnikfrei“-Zertifikat für Saatgut. Agrarministerin Lucia Puttrich (CDU) erklärte am Mittwoch, sie werde einen entsprechenden Antrag bei der am Donnerstag in Lübeck beginnenden Konferenz mit ihren Amtskollegen aus den anderen Bundesländern stellen. Demnach soll das Bundesagrarministerium den Vorschlag prüfen, dass die Erzeuger jede Saatgutpartie auf gentechnisch veränderte Organismen untersuchen und so kennzeichnen müssen. Umweltschützer und Biobauern kritisierten den Vorstoß als Versuch, das bisher geltende totale Verbot von nicht zugelassener Gentech in Saatgut auszuhebeln.

Puttrich begründet ihren Antrag damit, dass eine „flächendeckende behördliche Kontrolle“ vor der Lieferung des Saatguts an den Handel nicht möglich sei. Hintergrund ist, dass Bauern im Frühjahr auf rund 2.000 Hektar Mais aussäten, der mit in der Europäischen Union verbotenem Gentech-Mais verunreinigt war. Die Behörden hatten nicht rechtzeitig eingegriffen. Erst nach der Aussaat ordneten sie an, die Äcker umzupflügen. Wer die Kosten trägt, ist bis heute ungeklärt.

Um sich solchen Ärger künftig zu ersparen, will Hessen die Hauptverantwortung für die Kontrollen an die Saatgut-Produzenten abgeben. Die Behörden würden nur Stichproben zur Nachkontrolle ziehen.

„Der Staat darf sich da nicht aus der Verantwortung stehlen“, moniert Bioland-Sprecher Gerald Wehde. Vor allem stört ihn aber, dass Hessen in der Begründung seines Antrags Österreich als Vorbild nennt. Denn das Nachbarland lässt Saatgut auch dann als „Gentechnikfrei“ deklarieren, wenn dieses maximal 0,1 Prozent Gentech-Bestandteile enthält. In Deutschland dagegen sind gemäß der Nulltoleranz-Regel bisher überhaupt keine Spuren nicht zugelassener Gentech-Pflanzen erlaubt.

In die gleiche Richtung geht ein Antrag des CSU-geführten Bayerns auf der Agrarministerkonferenz. Er fordert die Bundesregierung auf, „eine für Wirtschaft und Überwachung praktikable Anwendung der Nulltoleranz zu ermöglichen“. Damit sei die Nulltoleranz aber nicht in Frage gestellt, heißt es im Agrarministerium in München. Bayern wolle vielmehr, dass die Labore künftig nach einheitlichen Methoden das Saatgut untersuchen und so die Kontrolle erleichtern. Umweltschützern zufolge könnten die Ämter dabei aber eine so hohe Toleranz gegenüber Messungenauigkeiten festlegen, dass in der Praxis doch mehr als 0,1 Prozent Gentechnik im Saatgut erlaubt wären. JMA