piwik no script img

Archiv-Artikel

Reden wie eine Schallplatte

An der Ganztagsschule Maretstraße bleiben von neun Erzieherstellen nur noch 0,9 übrig. Eltern und Schüler organisieren dreitägigen Protest. Dinges-Dierig hatte Erziehereinsatz jüngst begrüßt

Von Kaija Kutter

Während die Kinder an ihren Tischen arbeiten, könnte man eine Nadel fallen hören. Später wird es lebhafter in der „Bullerbü“-Klasse. Kinder legen kleine Teppiche auf den Boden und spielen Brett- und Lernspiele. Die Ganztagsgrundschule Maretstraße arbeitet seit Jahren nach modernen Konzepten in einem Team aus Lehrern und Erziehern.

Im Gruppenraum nebenan liegt ein Stapel Sandwich-Plakate. „Rettet unsere Schule“ und „Die Schule ist krank!“ steht drauf. „Eins davon hab ich gemalt“, sagt ein Junge. „Am Montag gehen wir in ein großes Haus und geben einen Brief ab“, sagt ein Mädchen und meint die Bildungsbehörde. „Es ist, weil die Erzieher gehen müssen.“

Am Dienstag, so plant der Elternrat, sollen sich die Kinder als Kranke verkleiden. Am Mittwoch geht die Schule „baden“ im Außenmühlenteich. „Was, wir gehen schwimmen?“, erschrickt ein Mädchen. „Ich kann nicht schwimmen.“ Ein Missverständnis, Erzieher Michael Bergmann* klärt es auf. Nicht die Schüler, nur ein paar „mutige“ Pädagogen gehen in den Tümpel. „Die machen ein Theater.“

Der Erzieher muss schnell weiter. Früher war er regelmäßig als zweite Kraft im Unterricht. Doch seit 2004 werden an der Harburger Ganztagsschule Erzieherstellen scheibchenweise abgebaut. Zunächst von neun auf sechs und jetzt im August 2006 auf vier. Und auch von den Verbliebenen ist einer länger krank und einer bei den älteren Schülern am Nachbarstandort Bunatwiete, sodass nur zwei übrig bleiben, um den 235 Grundschülern eine gute Betreuung zu bieten. „Früher hat es Spaß gemacht, jetzt bin ich am Limit“, klagt Bergmann. „Unter diesen Bedingen arbeitet keine Kita.“

Die Kürzungspläne der Behörde gehen noch weiter. „Ab dem nächsten Jahr“, so berichtet die Elternratsvorsitzende Petra Heitmann, „haben wir nur noch 0,9 Erzieher und sonst nur Honorarkräfte“. Statt der ganztätigen Anwesenheit von Erziehern, die eigene Spielräume haben und zu den Kindern Beziehungen aufbauen, setzt das Konzept des Senats auf billige Honorarkräfte, die täglich für 15 Euro in der Stunde die Mittagspause betreuen. „Die bleiben nicht, das gibt eine zu hohe Fluktuation“, sagt Heitmann. Behördensprecher Thomas John sieht das anders: „Auch Honorarkräfte sind pädagogisch geeignet.“

Es ist halb zwölf. Die Kinder gehen in die Pause, eine halbe Stunde essen, eine Stunde spielen, danach gibt es noch mal Unterricht. Die Schule liegt im Harburger Phoenixviertel mit niedrigstem Sozialindex. Es gibt Kinder, die, wenn sie krank sind, lieber beim Erzieher auf dem Sofa liegen als daheim. Für viele, so die Lehrer, ersetzt die Spielzeit in der Schule die fehlende kindgerechte Umgebung zuhause. Auch hier ist pädagogisches Know-how gefragt. Bergmann zeigt das an den vom Flohmarkt gekauften „Bioniclyes“. Mit diesen Legofiguren so umzugehen, dass sie heil bleiben, sei ein Lernprozess. „Ich übe das mit den Kindern. Wenn ich nicht dabei bin, sind die nachher hin.“

Wir gehen nach gegenüber in die „Lummerland“-Klasse. Die Kinder fordern Ansprache. Ein Junge will die Ritterburg aufbauen, die andern an den PC, ein paar Kinder lümmeln auf dem Sofa, einer stürzt auf dem Hof vom Roller. Ein Mädchen will Einrad fahren. „Das geht nur, wenn ein Erwachsener dabei ist“, winkt Bergmann ab. Zwei Jungs einer anderen Klasse kommen vorbei. „Wann haben wir bei Dir Spielzeit?“, fragen sie. „Heute nicht, erst morgen wieder“, ruft Bergmann und sagt leise: „Diesen Satz muss ich wie eine Schallplatte wiederholen, seit ich für so viele da bin.“ Früher habe er nach Streitereien „dran bleiben“ können, „heute rufe ich nur noch, ‚runter da vom Dach‘“.

Dabei hatte sich die Teamarbeit von Lehrern und Erziehern an der Maretstraße bewährt. Im April, zur Hochzeit der Debatte um die Rütli-Schule, nannte sogar Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig (CDU) diese Schule als vorbildliches Beispiel.

Dinges-Dierig war es auch, die Anfang August erklärte, Grundschulen in sozial belasteten Gebieten bräuchten statt kleinerer Klassen eben jenen „Professionenmix“ mit Erziehern. Doch laut Sprecher John besteht zwischen dieser Aussage und dem Ganztagsschulkonzept „kein Zusammenhang“.

*Name geändert