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Archiv-Artikel

BERLIN - VON KENNERN FÜR KENNER Eine federleichte Schokoladentorte

Natalie Tenbergs Gastro-Kritik: Am Café Reet in Charlottenburg ist eine Berliner Großmutter schuld

Das Schöne daran, in Berlin zu leben, ist auch, dass man stundenlang in Cafés sitzen darf und das dann am Ende des Tages als Beschäftigung gilt. Denn ein Besuch im Café dient der wichtigen Beobachtung von Mitmenschen und als Mittel, diese irgendwann besser zu verstehen. Und hat man genug davon, ihnen zuzusehen, dann studiert man eben in einer der ausliegenden Zeitungen die Nachrichten.

Das dieses vagabundierende Beobachten nichts Neues ist, sondern ein beständiger Wunsch, weiß Lee Ann Dördrecht. Sie wurde als Kind von ihrer Berliner Großmutter von Café zu Café geschleppt und lernte diese Lebensweise so zu schätzen, dass sie selbst ihren Beitrag dazu leisten wollte.

Herausgekommen dabei ist etwas recht Gelungenes: das Café Reet am Klausener Platz in Berlin-Charlottenburg. Vor 10 Jahren eröffnete Dördrecht das kleine Lokal, das den Beinamen Galerie trägt, weil hier wechselnde Künstler ausstellen.

Das Publikum könnte auch im Lehrerzimmer sitzen. Ein ergrautes Paar liest Zeitung, er isst Salat, sie Joghurt mit Früchten. Er kommentiert das Gelesene über den Brillenrand hinweg. Im Hintergrund läuft ein modernes französisches Chanson, eine Frau im Evelyn-Brandt-Style – Mode für die unabhängige Frau – blättert in einem Buch und trinkt Milchkaffee. Die abgenutzten dunklen Holzdielen, die Patina der Tische und die angegilbten Wände verleihen dem Café den Charme des Eingesessenen. Durch das große Ladenfenster schaut man auf den Platz und auch auf Rudis Resterampe. Nur weil man in Charlottenburg ist, muss es noch lange nicht fein zugehen.

Kann es aber, wie die Royal-Chocolat-Torte beweist. Die federleichte Schokoladentorte wird, wie alle Torten und Kuchen im Café Reet, von Aux Delices Normands geliefert, einer Patisserie mit vier Filialen im Berliner Westen. Bei den Tramezzini mit Basilikum, Tomate und Salami für vier Euro sind die Ansprüche an die Backwaren leider nicht ganz so hoch. Das Weißbrot schmeckt ein wenig zu laff für die würzige Auflage, aber noch immer besser als beim Bäcker nebenan.

Insgesamt macht das Café Reet den Eindruck, als passe es genau in die Gegend rund um das Charlottenburger Schloss: Es ist unprätentiös, aber nicht gewöhnlich. Gemütlich, ohne zu anheimelnd zu sein. Ein Café, wie man es gerne besucht, sei es zum Kaffeetrinken oder eben nur, um die anderen Gäste und Passanten zu beobachten.

CAFÉ REET, Klausener Platz 5, 14059 Berlin-Charlottenburg, nahe Schloss, S Westkreuz, Tel. (0 30) 3 22 48 22, Mo.–Fr. 8–20 Uhr, Sa./So., Französisches Frühstück: Milchkaffee, Butter und Konfitüre oder Honig 3,90 €, Latte macchiato 2,90 €, Cola 1,80 €, Leitungswasser nur in kleinen Mengen