Darfur und die Quadratur des Kreises

Die internationale Gemeinschaft würde gern in der westsudanesischen Kriegsregion Darfur verstärkt militärisch eingreifen. Doch sie hat Angst vor Sudans Regierung, und ihr politisches Konzept entspricht nicht den Wünschen der Bevölkerung Darfurs

VON DOMINIC JOHNSON

Gibt es noch eine Chance, mit Eingreifen von außen eine neue brutale Kriegsrunde in Darfur zu vermeiden? Die Möglichkeiten der internationalen Gemeinschaft angesichts der erneut zunehmenden Spannungen im Westteil des Sudan waren gestern Thema bei der Afrikanischen Union (AU) und beschäftigen ab heute Spitzenpolitiker bei der UN-Generalversammlung in New York sowie beim UN-Menschenrechtsrat in Genf. Zur Disposition steht nicht weniger als die Handlungsfähigkeit der Welt angesichts des Kriegs in Darfur, den immer mehr Politiker und Persönlichkeiten weltweit als „Völkermord“ bezeichnen und gegen den am Wochenende zehntausende Menschen vor allem in New York und London auf die Straße gingen.

Der Sicherheitsrat der AU traf sich gestern in New York, um über eine Verlängerung des Mandats der AU-Eingreiftruppe „Amis“ in Darfur zu entscheiden, das turnusgemäß Ende September ausläuft. Seit 2004 in Darfur zur Überwachung eines Waffenstillstands stationiert, von der EU finanziell und von der Nato logistisch unterstützt, haben die rund 7.000 AU-Soldaten in Darfur bisher eine Zuschauerrolle gespielt und sind auch gegen die jüngst erneut aufgeflammten Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Rebellen nicht eingeschritten. Doch es gibt derzeit keine realistische Alternative zu der AU-Truppe.

Der UN-Sicherheitsrat billigte zwar am 31. August die Entsendung von UN-Blauhelmen nach Darfur. Laut der Resolution 1706, die mit 12 Stimmen gegen 3 Enthaltungen angenommen wurde, soll das Mandat der bestehenden UN-Truppe im Südsudan auf Darfur erweitert und die Truppe dafür um bis zu 17.300 Soldaten und Polizisten aufgestockt werden. Doch die Blauhelme erhalten kein friedenserzwingendes Mandat unter Kapitel VII der UN-Charta, wie es ansonsten bei UN-Einsätzen in Konfliktgebieten üblich ist, und Sudans Regierung lehnt eine UN-Entsendung nach Darfur kategorisch ab. Sudans Präsident Omar al-Beschir hat gelobt, sich persönlich an die Spitze des Widerstands gegen UN-Blauhelme zu stellen. Lediglich die an Sudans Regierung beteiligten ehemaligen Rebellen des Südsudans, die ihren Landesteil inzwischen autonom regieren und dort UN-Blauhelme zulassen, haben sich für UN-Truppen in Darfur ausgesprochen.

Da eine UN-Stationierung auch bei Sudans Zustimmung frühestens 2007 denkbar wäre, muss nun ohnehin der Verbleib der AU-Truppe über Ende September hinaus gesichert werden. Beim letzten AU-Staatengipfel in Gambia Anfang Juli sprachen sich die afrikanischen Staatschefs bereits für eine Verlängerung der „Amis“-Stationierung bis Jahresende aus. Die Finanzierung dafür fehlt allerdings; auch unverbindliche Zusagen der Arabischen Liga haben bisher kein konkretes Geld erbracht. In einem Aufwallen nationalistischer Gefühle verkündete Sudans Regierung Anfang September sogar, nicht nur die UNO sei in Darfur unerwünscht, sondern auch die AU solle zu Monatsende ersatzlos verschwinden. Dieser Rausschmiss wurde aber seitdem wieder zurückgenommen.

Ein Verbleib der AU-Truppe aber beantwortet die Frage nicht, wie die internationale Gemeinschaft in Darfur zum Frieden beitragen will. Seit Wochen intensiviert Sudans Regierung in Darfur offensive Truppenbewegungen und Luftangriffe auf Zivilisten. Offiziell geht es immer nur darum, das im Mai zwischen der Regierung und einer von Darfurs Rebellengruppen geschlossene Friedensabkommen durchzusetzen – dieses bescherte unter anderem dem Rebellenführer Minni Minawi einen Regierungsposten in Sudans Hauptstadt Khartum. Doch fast alle Feldkämpfer der Rebellen und die Bevölkerung Darfurs lehnt das Abkommen ab, weil es die Entwaffnung und den Rückzug der für Massenvertreibungen verantwortlichen Milizen der sudanesischen Regierung überlässt und keine Sicherheitsgarantien oder Entschädigungen für rückkehrende Flüchtlinge bietet. Ungeachtet dessen setzen alle internationalen Gremien, von AU und EU bis zur UNO, auf das Abkommen als Grundlage für eine politische Lösung in Darfur.

Die Lage vor Ort verschlechtert sich derweil ständig. Immer öfter greifen regierungstreue Milizionäre Flüchtlingslager an. Im August waren allein in der Provinz Norddarfur nach Angaben des UN-Welternährungsprogramms WFP 355.000 Menschen durch Kämpfe von Lebensmittelversorgung abgeschnitten. Neuen Studien zufolge hat der Krieg in Darfur seit 2003 unter den rund 6 Millionen Einwohnern zwischen 170.000 und 255.000 Tote gefordert.