: Performance und Dringlichkeit
BUCHMESSERN 2 Die Gleichzeitigkeit verschiedener Welten und die Behauptung bedeutender Momente: Die Buchmesse macht’s möglich
VON DIRK KNIPPHALS
Melinda Nadj Abonji saß dann am Nachmittag wohlbehalten am Stand ihres Verlags Jung und Jung. Das war einer dieser Momente, in denen sich all das Getriebe und Geschiebe dieser Buchmesse zu einem dichten Bild zusammenfügte. Es kam hier halt vieles zusammen. Am Vormittag hatten einige Veranstaltungen mit der diesjährigen Buchpreisträgerin abgesagt werden müssen, weil sie, wie man hörte, mit dem Auto von ihrer Heimatstadt Zürich nach Frankfurt gefahren war und sich mit der Zeit verschätzt hatte.
Nun saß sie seelenruhig am Stand und redete konzentriert mit Martin Ebel, dem Literaturredakteur des Zürcher Tages-Anzeigers. Dabei vermittelte die Autorin, die doch gerade vom Geheimtipp zum Star im Literaturbetrieb geworden war, etwas von Ruhe im Zentrum des Sturms.
In konzentrischen Kreisen um dieses Zentrum herum aber tobte die Aufregung. Im innersten Kreis der Stand ihres Verlags. Der Verleger wirkte angestrengt. Kann sehr gut sein, dass Nadj Abonjis Roman „Tauben fliegen auf“ nun zu einem großen Bestseller wird; so etwas will, gerade von so einem feinen, aber kleinen Verlag, erst einmal organisiert sein. Dann kamen immer wieder freudestrahlende Menschen an den Stand und klopften dem Verleger auf die Schulter. „Glückwunsch.“ „Das ist ja toll.“ „Das ist die Grundlage, die man braucht.“ „Ganz zauberhaft.“ Solche Sätze fielen. Es war, als hätte die Schweiz gerade die WM gewonnen.
In dem nächsten konzentrischen Kreis lag der Stand der Zeit. Da hatte gerade der amerikanische Literaturstar Bret Easton Ellis gelesen. Kameras. Mikrofone. Autogrammwünsche. Schon zwanzig Meter von Melinda Nadj Abonji entfernt wirkte es also so, als ob es den Buchpreis nie gegeben hätte. Und wieder einen konzentrischen Kreis weiter gibt es zum Beispiel den Command Verlag. Er ist ganz neu, es gibt nur ein Buch. Darin wird über das Schicksal der deutschen Fallschirmjäger im Kundus berichtet. Der Autor und Verleger in Personalunion stand in sandfarbener Tarnuniform vor seinem Stand und quatschte jeden voll, der nicht gleich Reißaus nahm. Schon hier, weiterhin nur wenige Meter von Melinda Nadj Abonji entfernt, wirkte es so, als ob es eh egal ist, wer den Buchpreis gewinnt. Von der Hoffnungsträgerin über den Popstar bis zum fragwürdigen Winzverlag innerhalb weniger Augenblicke – als so ein dichtes Nebeneinander solcher höchst unterschiedlichen Eindrücke muss man sich eine Buchmesse vorstellen.
Tradition muss sein
Ruhiger geht es derzeit beim Suhrkamp Verlag zu. Da ist zu berichten, dass der traditionelle Kritikerempfang zur Messe trotz Berlinumzug wie eh und je in der Unseldvilla in der Frankfurter Klettenbergstraße stattgefunden hat. Das soll auch weiterhin so bleiben, hörte man aus dem Verlag, definitiv. Neuerfindung in Berlins wilder Szenenmitte hin oder her, Traditionspflege muss eben auch sein. Petra Roth, Frankfurts Oberbürgermeisterin, war auch da; sie und die Verlegerin Ulla Unseld-Berkewicz gaben sich herzlich die Hand, was deshalb bemerkenswert ist, weil die Abwanderung aus Frankfurt von der dortigen Politik natürlich nicht toll gefunden werden konnte. Anscheinend hat sich Frau Roth zur Schadensbegrenzung entschlossen.
Die ebenso traditionelle Lesung auf dem Empfang bestritt ein gut aufgelegter Alexander Kluge mit einer wunderbaren Dringlichkeitsperformance. Er fragte, wie wir nur annehmen könnten, dass das 21. Jahrhundert nicht ebenso entgleisen könnte wie das 20. Jahrhundert mit dem Ersten Weltkrieg! Erklärte, warum die Literatur der Politik bei der Behandlung der großen Krisenbewältigungsaufgaben überlegen ist (die Antwort konnte man dann gar nicht schnell genug mitschreiben, da Kluge sofort mit seinem Text zwischen allen Zeiten und Ideen weiterhüpfte; aber in den gleich drei neuen Büchern, die von ihm demnächst erscheinen werden, kann man sie sicher nachlesen). Meinte, dass Kassandra zwar Pech gehabt habe, das ja aber für andere Autoren nicht so bleiben müsse. Am Schluss ließ Alexander Kluge die Zuhörerschaft darüber abstimmen, ob er noch eine weitere Geschichte vorlesen solle. Natürlich hoben alle zustimmend die Hand. „Das ist die Mehrheit“, vermerkte Kluge trocken. Spätestens in diesem Moment musste man sich diesen agilen Altmeister als eine so listige wie glücksbegabte Kassandra vorstellen.
Voll und ganz der Alte
Solange er sprach, glaubte man ihm. Hinterher wusste man dann zwar nicht mehr recht zu sagen, was er denn nun genau gesagt hatte. Aber entschieden hatte man den Eindruck, wiederum Zeuge eines dieser bedeutungsvollen Momente gewesen zu sein, wie sie nur die Frankfurter Buchmesse generieren kann. Auf jeden Fall war Suhrkamp in diesem Moment voll und ganz der alte Suhrkamp Verlag.
Ansonsten ist von der Partyfront noch zu vermelden, dass man beim Rowohlt Verlag bei der Einlasskontrolle einen sehr hübschen „Hello Kitty“-Stempel auf den Handrücken erhielt. Und das wirklich Schöne daran ist, dass das auf dieser Messe, auf der man ständig dabei ist, den Zustand des Literaturbetriebs im Allgemeinen und seiner zentralen Verlage im Besonderen verstehen zu wollen, einmal wirklich überhaupt nichts zu bedeuten hatte.