: Nach dem Tod – die Wiederauferstehung
Heute beginnt in Berlin die Musikmesse Popkomm. Nach Jahren der Krise schöpft die Branche wieder Hoffnung
Man kann es ruhig gute Laune nennen. Wenn heute die Popkomm in den Berliner Messehallen am Funkturm beginnt, dürfte die Stimmung weit besser sein als in den vergangenen Jahren. Nicht nur, weil das Konzept der neuen Popkomm aufzugehen scheint – zum dritten Mal findet sie seit ihrem Umzug aus Köln in Berlin statt, die Zahl der Aussteller ist wieder gestiegen, und auch die Majorplattenfirmen, die sich in den vergangenen Jahren zierten, sind allesamt mit Ständen vertreten. Nach Jahren des unaufhaltsamen Abstiegs, ständig sinkender Verkaufszahlen und des sicher scheinenden Todes der Musikbranche regt sich wieder Hoffnung. Ist doch nicht alles verloren?
Nun war die Krise der Musikindustrie nie eine Krise der Musik. Es war eine Krise der Verwertung. Und genau hier tut sich nun wieder was. Nach Jahren, in denen man sich vor allem über Klingeltöne unterhalten musste, wenn man über irgendetwas reden wollte, mit dem sich Geld verdienen lässt, gibt es ein neues Schlagwort, das eine Zukunft verspricht: Web 2.0. Ein schicker neuer Begriff aus Amerika, den man ungefähr so übersetzen kann: Das Internet verändert sich, es wird interaktiver, Empfänger werden zu Sendern, im Zuge dessen bilden sich neue Communitys heraus.
Das ist erst einmal gar nicht falsch. Und genau wie in den späten Neunzigerjahren, als die Musiktauschbörse Napster ein wichtiges Moment in dem riesigen Popularitätsschub von Web 1.0 war, so spielt auch bei Web 2.0 die Musik eine wichtige Rolle. Einiges der Dynamik, die Seiten wie myspace.com oder youtube.com entfaltet haben, liegt an Inhalten, die mit Musik zu tun haben – die Communitys, die sich auf myspace bilden, sind oft musikaffin, youtube ist auch deshalb so attraktiv, weil man dort die Musikvideos sehen kann, die auf MTV nicht mehr laufen.
Trotzdem erinnert einiges dieser guten Stimmung an 2000, das Jahr vor dem großen Crash, und die damalige Popkomm – auch damals war ja schon klar, dass es große Probleme gibt, dass die Digitalisierung der Musik den Verkauf von Musik kompliziert, und auch damals waren die CD-Verkäufe schon rückläufig. Aber es wurde venture capital verbrannt, als gäbe es kein Morgen. Auf riesigen Ständen wurden die unsinnigsten Services vorgestellt, entwickelt mit nichts als dem Blick auf das Versprechen, irgendwie müsse sich im Netz doch Geld machen lassen.
Dieses Versprechen hat sich für die Tonträgerindustrie als falsch erwiesen. Daran wird sich nichts ändern, auch wenn es gerade eine neue Auflage erlebt. Da wäre etwa die britische Band Arctic Monkeys, die es nur durch Selbstpromotion im Internet in Großbritannien zu ungegeheurer Popularität schaffte – als sie schließlich an der Spitze der Charts landeten, verkauften die Band in einer Woche so viel CDs wie die zwanzig Nächstplatzierten zusammen.
Da geht doch was, denkt man sich seitdem bei den Plattenfirmen. „Arctic Monkey Business – Fans im Focus“ heißt dann auch eine der Veranstaltungen des die Popkomm begleitenden Kongresses. Nur: Eine brillante Band wie die Arctic Monkeys wird immer Erfolg haben, egal wie die Vertriebswege und Wertschöpfungsketten für Musik aussehen. In der Fläche heißt das bloß gar nichts. Seit die Musik digitalisiert ist und fast jeder Haushalt einen Rechner mit schneller Datenleitung hat, ist sie ohne Qualitätsverlust kopierbar. Und solange die Urheberrechte so geregelt sind, wie sie geregelt sind, wird illegal heruntergeladen. Daran ändern auch neue Marketingmöglichkeiten nichts.
Die Musikindustrie hat sich immer noch nicht mit dem Gedanken angefreundet, dass sie nur noch auf Spendenbasis funktioniert. Jeder, der eine CD kauft oder im Internet Geld für einen Download ausgibt, tut das, weil er bezahlen will, nicht weil er die Musik anders nicht bekommen könnte. Allen Angstkampagnen zum Trotz: Die Tauschbörsen gibt es noch immer. So gut wie jede Platte lässt sich dort finden und für umsonst herunterladen. In Anbetracht dieser Tatsache kann sich die Musikindustrie im Grunde sogar glücklich schätzen – wer würde schon freiwillig für einen Toaster bezahlen, wenn er ihn kostenlos bekommen könnte?
Interessanterweise lässt sich an der Messe selbst dieser Wandel längst ablesen: Wo die Musikindustrie immer unwichtiger wird, springt der Staat ein. Nach dem Vorbild des französischen Bureau Export de la Musique Française hat mittlerweile fast jedes europäische Land hat mittlerweile eine staatlich finanzierte Agentur, die mit einem Stand auf der Popkomm vertreten ist. Eine Entwicklung, die sich auch im begleitenden Festivalprogramm spiegelt: Es gibt fast ein dutzend Länderabende. Und nicht nur das: Wo viele Labels nicht mehr genug Geld haben, ihre Künstler einzufliegen, geben die Exportbüros Reisekostenzuschüsse. Ein Umstand, den die Popkomm ebenfalls für sich zu nutzen weiß: Das interessante Programm findet abseits des offiziellen Festivals in den Berliner Clubs statt. TOBIAS RAPP