Liedzeilen lächelnd nach Hause tragen

Bilder sind stark, wo das Englisch schwächelt: Im Babylon Berlin:Mitte begann ein Programm mit Musikclips, die ihre Fernsehheimat verloren haben

Am Vorabend der Popkomm wurde im Kino Babylon:Mitte ein Programm mit 13 aktuellen Musikvideos aus Berlin präsentiert. Das war eine Pilotveranstaltung, die das Kino zusammen mit der „Labelcommission Berlin“ startete. Die Labelcommission verfolgt das Ziel, den lebendigen Austausch innerhalb der Musikszene Berlins auf professioneller Ebene zu intensivieren.

Es war jedenfalls ein prima Abend, an dem durchgehend sehenswerte Videos, unter anderm von Hund am Strand, Sanagi, Barbara Morgenstern, der Mediengruppe Telekommander, Prinz Pi (Pi-Zeichen), Rappertoire und Richard Davis gezeigt wurden.

Vor dem Babylon wartete jemand, auf dessen Tasche „Filmemacher“ stand. Aus der Kassenschlange hörte man, dass Kinder beim Ficken nerven würden. Viele Zuschauer kamen in Gruppen und wollten unbedingt nebeneinandersitzen. Während man wartete, dass es losgeht, sagten sie gruppenspezifische Sachen, wie, dass „Wolfgang noch nicht drin“ wäre, oder auch, dass dieser russische Wodka mit naturtrübem Apfelsaft gemischt „total lecker“ schmecken würde. Erst später fiel einem ein, dass es sich bei ihnen und anderen im Saal um Musiker und ihre Clipmitarbeiter handelte.

Magdalena von „Radio Fritz“ führte grüngekleidet durch den Abend. Sie sagte die vier Videoclipblöckchen mit jeweils drei oder vier Clips an, und die anwesenden Musiker und ihre Mitarbeiter erhoben sich und wurden freundlich beklatscht.

Früher war ich clipfanatisch. Nicht nur, weil ich meine Stars gerne in Bewegung anguckte, sondern auch, weil die Videos einem halfen, die Lieder besser zu verstehen. Beziehungsweise auf interessante Weise misszuverstehen. Die Tatsache, dass die Texte englischsprachiger Popmusik hierzulande zunächst einmal nur unzureichend verstanden werden, wird in der Popmusikkritik immer wieder gerne vergessen. Die Bilder setzten jedenfalls da an, wo man die Sprache nur bruchstückhaft verstand. Seit dem Ende von Viva 2 gibt’s leider kaum noch interessante Clips im Fernsehen. In gewisser Weise war der Abend eine schöne Viva 2-Fortsetzung im Kino.

Genremäßig war’s sehr vielfältig. Es gab viel Rock, Elektropop, der wie Richard Davis und Telekommander auch bildmäßig an die 80er erinnerte, und auch Hiphop. Mehr als die Hälfte der Videos waren in einem eher schlecht verständlichen Englisch besungen, keines ohne Text.

Der erste Clip von Jane Walton, eine klasse Realanimation, in der Hausdächer und Beton zur Musik wippen, war nur eine halbe Minute lang, weil dann das Geld ausgegangen war. „Neues Lied“ von Hund am Strand war sehr sympathisch, weil es die Sehnsucht artikulierte, vor Zuschauern, die zugleich Freund sind, zu rocken und nach Auftritten in Polarlandschaften und am Meeresgrund in der Nähe der Oberbaumgruppe zu spielen. Sometrees „Seraph“ orientierte sich am klassischen Science-Fiction-Thema „heißes Herz versus durch Technik entseelte Welt“. Viele Tattoos spielten eine Rolle bei „Mish Mash“ von Sanagi.

Der Rapper Prinz Pi (PI-Zeichen) sang „Diese Welt stinkt / dieses Geld stinkt“ bzw. „Diese Welt nervt / dieses Geld nervt“. Im Prinzip war das Video prima, nur irritierte, dass der Künstler irgendwie zu jung schien für das, was er sang.

Als souveräne alte Hasen begeisterten Rappertoire mit ihren rap-selbstironischen „Prärievagabunden“, einem Hiphop-Klassiker von 2001. Mit großer Eleganz beeindruckte auch „the operator“, das neue Video von Barbara Morgenstern. Ihre Zeile „Ich zerschlage das, was mir gefällt / bis das Haus in sich zerfällt“ nahm man lächelnd mit nach Hause und hofft darauf, dass dieser Abend eine Fortsetzung haben wird.

DETLEF KUHLBRODT