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Archiv-Artikel

Leere Worte reichen nicht

NAHER OSTEN Der Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern steht vor dem Scheitern. Auch weil sich die europäischen Staaten nicht bemühen

Susanne Knaul

■ lebt seit 25 Jahren im Nahen Osten. Sie berichtet für die taz aus Israel und den Palästinensergebieten. Die Friedensverhandlungen und den „Arabischen Frühling“ betrachtet sie mit einer Mischung aus Hoffnung und Skepsis.

John Kerry kämpft unermüdlich für einen Frieden im Nahen Osten. Kurz vor Ablauf der auf neun Monate angesetzten Verhandlungen zeigt der Chefdiplomat aus dem Weißen Haus aber erste Ermüdungserscheinungen. Das „tiefe Misstrauen“ auf beiden Seiten scheint den ewigen Optimisten nun doch zweifeln zu lassen, ob sein Mühen überhaupt Sinn macht. Über „kalam fadi“ drohen die Friedensverhandlungen im Nahen Osten zu scheitern: „leere Worte“, wie es auf Arabisch heißt.

Der Pragmatiker aus Washington rennt gegen historische Wände. Er stößt sich den Kopf am jüdischen Staat Israel, an der Unteilbarkeit Jerusalems und an dem Rückkehrrecht für die einst aus ihrer Heimat vertriebenen Palästinenser. Es geht um Symbole, nicht um Lösungen für den Konflikt in der Region – um Formulierungen und Definitionen, die in der Konsequenz völlig bedeutungslos sind.

Weder Netanjahu noch Abbas

Mit der Anerkennung Israels als jüdischen Staat, so rechtfertigt Regierungschef Benjamin Netanjahu seine Forderung, demonstrierten die Palästinenser ihre Bereitschaft, den Konflikt ein für allemal zu beenden. Plötzlich genügt nur ein Satz, um das Vertrauen wiederherzustellen? Wie absurd zu denken, dass die Unterschrift des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas unter einen Friedensvertrag den Traum der meisten Palästinenser platzen ließe, eines Tages doch wieder das ganze Land vom Mittelmeer bis zum Jordan zu beherrschen. Sollen sie doch träumen.

„Niemals“ will Abbas dem „jüdischen Staat Israel“ zustimmen, und die Arabische Liga gibt ihm recht. Das palästinensische Narrativ wäre damit in Frage gestellt und schlimmer noch: Israel könnte die eigenen palästinensischen Bürger vertreiben. Wie absurd zu denken, Netanjahu warte auf das Okay des palästinensischen Präsidenten für seine Politik im eigenen Land. Israels palästinensische Bürger sind längst dem „jüdischen Staat“ ausgeliefert, denn so definiert sich Israel selbst, und nur darauf kommt es an.

Beide, Netanjahu und Abbas, haben weder das Zeug noch den Willen dazu, auf Abstand zu gehen zu den hundert- und mehrjährigen Parolen, die der friedlichen Koexistenz den Weg versperren. Mit Führungsköpfen wie diesen bleibt ein Frieden zwischen Israel und den Palästinensern Utopie.

Auf einen neuen Jitzhak Rabin und einen neuen Jassir Arafat zu warten, die es gemeinsam vielleicht geschafft hätten, wäre Israels früherer Regierungschef nicht ermordet worden, bleibt keine Zeit. 14 Jahre liegt der letzte ernsthafte Versuch des früheren US-Präsidenten Bill Clinton zurück, Frieden im Nahen Osten zu schaffen. Seither 14 Jahre Siedlungsbau in Jerusalem und im Westjordanland. In noch mal 14 Jahren wird die Zahl der Israelis, die in Palästina leben, die Millionengrenze überschreiten und nichts mehr übrig lassen, worüber sich zu verhandeln lohnte.

Kein „Alles oder nichts“

Das Wichtigste ist, so meint Schlomo Brom, Sicherheitsexperte aus Tel Aviv, das Prinzip zu beenden, dass nichts vereinbart ist, solange nicht alles vereinbart ist. Weil einige Konfliktpunkte derzeit unlösbar sind, andere aber sofort gelöst werden müssen, darf es nicht länger um alles oder nichts gehen. Kleine Schritte sind nötig, sei es in Form von Teilabkommen oder unilateral. Brom hält eine „unproblematische Einigung“ über die Wasseransprüche für möglich. Denkbar wäre zudem ein Teilabzug aus Regionen, über die kein Streit besteht.

30 Prozent der Siedler, so behauptet eine gerade veröffentlichte Umfrage, sind bereit, nach Israel umzuziehen, vorausgesetzt, der Staat zahlt ihnen eine Wiedergutmachung. Alles, was dafür nötig ist, wäre eine Rechtsreform, die die freiwillige Räumung, ähnlich wie bei dem Gazaabzug 2005, regelt, jemand, der die Kosten dafür trägt und den politischen Willen für beides. Netanjahu reagiere nur auf Druck, meint Barak Ravid, politischer Korrespondent der Tageszeitung Haaretz. Gefragt sind also die USA und Europa. Ob die Amerikaner am nahöstlichen Ball bleiben, wird sich Ende März, spätestens Ende April zeigen. Die Verhandlungen drohen zu platzen, wenn Israel die geplante Gefangenenamnestie aussetzt. Dann müsste Kerry sich geschlagen geben und unverrichteter Dinge abziehen. Übrig bliebe Europa, das selbst im Fall weiterer Verhandlungen viel stärker an den Entwicklungen im Vorderen Orient mitwirken sollte. Das habe beim letzten Mal auch schon ganz gut geklappt, erinnert der israelische Blogger Noam Sheisaf während einer Veranstaltung der Böll-Stiftung in Tel Aviv zur Rolle Europas. „Das einzige reale Abkommen war ein europäisches – die Osloer Prinzipienerklärung von 1993.“

John Kerry kämpft für Frieden in Nahost. Aber auch der Chefdiplomat Amerikas zeigt erste Ermüdungserscheinungen

Die EU müsste sich verhalten

Ernüchternd beim Gedanken an die Europäer ist, dass der schwerfällige Körper der EU gleich nach Oslo in einen gut 20 Jahre andauernden Nahost-Winterschlaf verfiel. Mattia Toaldo vom europäischen Thinktank European Council on Foreign Relations (ECFR) erwartet von Europa, wo man „den Status quo Veränderungen vorzieht“, auch in Zukunft nicht viel. Anstelle von einheitlichen EU-Positionen und Maßnahmen sollten deshalb die großen europäischen Staaten unabhängig von der Union verstärkt Einfluss zu nehmen versuchen, schlägt er vor und sagt auch gleich, wie: eine Visumspflicht für Siedler. Je mehr Staaten dabei mitmachen, desto empfindlicher werden die getroffen, die man zum Umdenken bewegen will.

Immerhin sind sich die EU-Staaten im vergangenen Jahr über Richtlinien einig geworden, die die Siedlungen von europäischen Finanzierungen ausschließen. Damit ist ein zentraler Punkt angesprochen, aber es bleiben noch viele andere. Europa müsse sich auf Rahmenbedingungen verständigen, drängt Ravid. Wie verhält sich die EU zum jüdischen Staat Israel, wie zum Grenzverlauf, zu Sicherheitsarrangements, wie zum Rückkehrrecht. Vor vier Wochen erklärte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel in Jerusalem für den „jüdischen Staat“, während Kerry jüngst auf Abstand zu der Forderung ging. Dass sich zwei so mächtige internationale Figuren in einem so zentralen Punkt widersprechen, ist nicht nur peinlich, sondern kontraproduktiv. Für konzertierte Aktionen sind Absprachen nötig über die Methode und das Ziel. SUSANNE KNAUL