: Makler kriegen hier kein Bier
DEBATTENTHEATER In Dirk Lauckes neuem Stück „Bakunin auf dem Rücksitz“ entzweit der Streit über den Stadtumbau Eltern und ihre Kinder. Die Uraufführung fand jetzt im Deutschen Theater statt
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Es war einmal ein alter Inuit. Den wollte ein abgefuckter Ölfuzzi von seinem Land vertreiben, um da nach Öl zu bohren. Als er die Hütte des Alten räumen lassen wollte, brachte der sich um. Doch bevor der Ölfuzzi das als leichten Sieg feiern konnte, verliebte er sich in eine Inuitbeauftragte, die für den Toten ein Ritual in seiner Hütte abhielt. Und er stellte fest, dass der Alte sein Vater gewesen war.
Bakunin erzählt diese Geschichte, und Bakunin ist ein Hund auf der Bühne des Deutschen Theaters, gespielt von Matthias Neukirch im zerknitterten Anzug und mit Hundeleine um den Hals. Er hechelt nur ganz wenig, legt sich zu Füßen seiner vor Emotionen bebenden Mitspieler gern ein wenig hin, beobachtet alles, kommentiert und diskutiert mit philosophischem Weitblick. Die Geschichte aus Alaska erzählt er in einem Moment, in dem sie zu dem Lehrstück zur Gentrifizierung in Berlin, mit dem die anderen fünf Schauspieler gerade heftig zu Gange sind, viele Parallelen aufweist. Man hätte, so deutet Bakunin an, das alles hier auch auf Tragödienmaß hochschrauben können, mit verlorenen Vätern und verlorenen Söhnen und wiederkehrenden Figuren des Schicksals. Oder das Ganze zum großen globalisierungskritischen Kino aufblasen können à la „Fräulein Smilas Gespür für Schnee“. Das macht Dirk Laucke, der Autor von „Bakunin auf dem Rücksitz“, aber nicht. Er bleibt eine ehrliche Haut und hängt seine Geschichte tief. Mit Handwerkerstolz. Diese Realität hier muss auf den Tisch.
Und ebenso hält die Regisseurin Sabine Auf der Heyde, die mit Laucke schon einmal für das Deutsche Theater gearbeitet hat, den Ball flach und die Inszenierung schlank. Ein Podest dient für das Kommen und Gehen, dahinter zeichnet flink ein Stift, was die Vorstellungskraft noch braucht: Den Flaschenmüll in der Wohnung von Jörg, der der Räumungsklage mit Selbstmord aus dem Weg ging, so, wie er, in den Worten seiner Caritaspflegerin Eddi, überhaupt allem aus dem Weg ging, außer Schnaps und Johnny Cash. Er zeichnet die dicke Karre von Steven, dem Makler, die der Junge Jan im Punkeroutfit als Zeichen des Protestes abfackeln will. Er zeichnet die geleckte Wohnung von Jans Mutter Charlotte, einer Bezirkspolitikerin, die wegen teurer ökologischer Bauprojekte in die Schusslinie nicht nur ihres Sohnes geraten ist. Und er zeichnet die Destille von Moni, die ihren Kunden beim Ausfüllen der Hartz-IV-Anträge hilft und Maklern kein Bier verkauft.
Der Rest ist Dialog, und in dem fliegen die Fetzen, bis jeder Aspekt beleuchtet ist. „Klassenkampf“ schreit Jan und funkelt Steven wie die Inkarnation des Bösen an – aber Steven weiß, dass Jan genau jenem begüterten Milieu entstammt, zu dem er, der Sohn eines Alkoholikers, sich erst hochgearbeitet hat. Ausgerechnet mit ökologischen Projekten.
Je weiter unten eine Figur auf der sozialen Leiter steht, mit desto mehr sprachlichem Witz zeichnet Dirk Laucke sie aus, kompensiert mangelndes materielles Vermögen mit Herzlichkeit. Das steht auf der Kippe zum Sozialkitsch; deshalb war es ein guter Kunstgriff, den Hund Bakunin einzuschalten, dessen Reflexionen über libertäre Theorie und neoliberale Praxis weiter ausschweifen dürfen als die der anderen Figuren. Er ist deshalb auch die dankbarste Rolle, von Matthias Neukirch ein bisschen verschlufft und mit viel trockenem Humor aufs Beste ausgefüllt.
„Bakunin auf dem Rücksitz“ entstand im Auftrag des Deutschen Theaters und schleppt redlich an der Realität der Stadt, ganz so, als sei es geschrieben, um grüne Politiker und Baustadträte bei ihren eigenen Widersprüchen zu packen. Dass man sich trotzdem gut unterhalten fühlt, ist schon eine Leistung.
■ Wieder in den Kammerspielen des Deutschen Theaters: 13., 15., 22. Oktober, 6.,10., 19. November