Das gespeicherte Geheimnis

SCHALLPLATTE Der kanadische Konzeptkünstler Jack Goldstein widmete sich dem Fetischcharakter der Schallplatte. Die Ausstellung „Sound Pieces“ im Schinkel-Pavillon zeigt seine formstrengen Werke in buntfarbigem Vinyl

Man kann Schallplatten nicht anhören, ohne zu wissen, wie sie aussehen

VON DIEDRICH DIEDERICHSEN

Dass ihn die Pop-Art genauso interessiert habe wie der Minimalismus, hat der im Jahre 2003 verstorbene Jack Goldstein einmal erklärt. Was hat das damit zu tun, dass man im Schinkelpavillon zurzeit die Schallplatten sehen kann, die der kanadische Konzeptkünstler zwischen 1976 und 1984 hergestellt hat? Nun, die Schallplatte ist so etwas wie das Unendliche für die großen Parallelen der 60er Jahre. Denn in der Schallplatte schneiden sich die beiden Linien der beiden zentralen Disziplinen dieses Jahrzehnts: Eine minimale Skulptur, industriegefertigt und von standardisierten Abmessungen, steckt in einem Werk der Pop-Art, einer bunten, fotografische und grafische Mittel mischenden, quadratischen Hülle, die zu gleichen Teilen der Werbung dient, wie sie Inhalte der Musik zu Bildern verdichten soll.

Doch Goldstein, bekannt zunächst für seine strengen, aber lakonischen und aphoristischen Filme war an der Hülle der Schallplatte gar nicht so sehr interessiert. Er bearbeitete die Schallplatte selbst und nahm ihr dabei gerade wesentliche Charakteristika weg: den erklärenden Schmuck des Covers und die bestimmte Musik, für die man die Schallplatte normalerweise kauft. Nur in seiner ersten Serie – „A Suite of Nine 7-Inch Records“ – gibt es Hüllen: ihrerseits perfekte minimale Gestaltungsklassiker: fette, versale Blockschrift in der Mitte des weißen Covers benennt die jeweilige Geräuschquelle („A German Shepherd“, „The Tornado“, „Two Wrestling Cats“ etc.) oder eine poetische mögliche: „The Lost Ocean Liner“.

Diese und auch die späteren Schallplatten Goldsteins arbeiten mit vorwiegend gefundenen Geräuschen, vorwiegend von Filmsoundtracks. Zuweilen typische, dann wieder obskure Geräuschdetails aus Hollywood-Produktionen sind für ihn in ähnlicher Weise attraktiv wie die visuellen Elemente, die er in seinen Filmen bearbeitet. Immer wieder interessiert ihn dabei die Grenze oder die Dialektik, mit der sich Kulturindustrie auf Natur stürzt. Aber er war eben auch von der Idee begeistert, dass noch in objektiver, indexikaler Geräuschkunst das Narrative sich nicht vermeiden lässt und ein von Hollywood geprägter Geist nicht aufhören kann, sich untergegangene Passagierschiffe vorzustellen. Es geht dann eben auch nicht um ein beliebiges Wetterereignis, sondern – bestimmter Artikel – den Tornado. Als beginne hier eine Erzählung aus dem tiefen Süden.

„The Tornado“, eine Single in violett eingefärbten Vinyl, war angeblich der Auslöser der Schallplattenproduktion: Die sich drehende violette Platte erschien als das perfekte, industriell gefertigte Pendant zu den heftigen Wettergeräuschen, die auf dieser Schallplatte gespeichert sind. Statt die Pop-Art, wie es nach all den Schallplattenhüllen von Andy Warhol, Peter Blake, Richard Hamilton und anderen Pop-Künstlern nahegelegen hätte, auf der Ebene der Hülle mit den minimalen Objekten zu konfrontieren, färbte und gestaltete Goldstein das Vinyl selbst. Die „Suite of Nine 7-Inch Records“ zeugt von einem Gespür für den Fetischcharakter von Schallplatten, wie er in der Welt konventioneller Sammler erst nach der Einführung der CD richtig ins Kraut schoss. Die mal monochrom, mal zweifarbig auseinanderstrebend, mal transparent, mal opak eingefärbten Elemente der Suite erinnern sehr an die Produktion des Independent-Labels Sympathy For The Record Industry, das aber erst in den späten 80ern mit seiner Produktion farbiger 7-Inches begann.

Später verlagerte sich das Interesse von Goldstein auf die tatsächlichen Aufnahmen. Er nahm nicht nur ein Geräusch pro Platte auf, sondern auf seinen einzeln oder in Serien meist von 10-Inches (dem 25-cm-Format alter Schellack-Platten) zusammengestellten späteren Werken sind oft komplexe Collagen aus musikalischen und rein atmosphärischen Passagen von Filmen, meist aus dem B-Movie-Spektrum der 50er bis 70er Jahre festgehalten. Seine letzte Serie aus dem Jahre 1984, „The Planets“, identifiziert die Schallplatten selbst mit den Himmelskörpern; zuweilen werden sie auch in entsprechender Weise angeordnet. Es war Goldstein allerdings wichtig, dass seine Schallplatten weder als Skulptur noch als Wandarbeiten verstanden werden konnten: Sie sollten in Vitrinen oder auf flachen Untergründen liegen und so nicht auf ihre Räumlichkeit, sondern auf das in ihnen gespeicherte Geheimnis verweisen, dass ja ein solches bleibt, wenn man sie nur ansieht. Aber auch reine „Sound Pieces“ – Titel der Ausstellung –, im heutigen Sinne dieses Genrebegriffs, sind sie nicht. Man kann sie nicht aufführen, anhören, ohne zu wissen, wie sie aussehen.

■ „Sound Pieces“. Eine Leihgabe der Galerie Buchholz, Schinkel Pavillon, Oberwallstr. 1, Do. bis So. 12–18 Uhr, bis 28. November