: Oper wird Karaokebar
STILLE Die MusikerInnen der drei Opern streiken für mehr Geld, das Land will nicht mehr bezahlen. TänzerInnen und SängerInnen müssen ohne Orchesterbegleitung auftreten
PETER F. RADDATZ, GENERALDIREKTOR
VON MANUELA HEIM
Für gewöhnlich befinden sich bei Händels „Orlando“ nur die SängerInnen auf der Bühne in verzweifelter Liebeslage. Doch an jenem Opernsonntag Anfang Oktober blieb es nicht dabei. Als das Publikum nach der Pause zurück an die Plätze raschelte, vorsorglich noch einmal in die Armbeuge hustete, war der Orchestergraben leer. Die MusikerInnen der Komischen Oper streikten. Er habe sich den Abend auch anders vorgestellt, sagte ein Mitarbeiter und ließ einen Flügel auf die Bühne schieben. Wer wolle, könne gehen. Die meisten Gäste blieben sitzen.
Seit Ende September hat die Musikergewerkschaft Deutsche Orchestervereinigung (DOV) den Arbeitskampf freigegeben. Deshalb haben sich die MusikerInnen an den letzten beiden Opernsonntagen sowohl in der Deutschen als auch in der Komischen Oper vorzeitig aus den Orchestergräben verabschiedet oder verspätet angefangen zu spielen. „Kleine Nadelstiche“ nennt das der Geschäftsführer der DOV, Gerald Mertens. Aber die Trompeten, Geigen und Klarinetten könnten noch häufiger verstummen, vielleicht sogar in der besucherstarken Weihnachtszeit. Denn der Graben ist tief zwischen der DOV und der Berliner Opernstiftung auf Arbeitgeberseite.
Im Jahr 2003, kurz vor einer neuen Tarifanpassung, war das klamme Berlin aus dem Flächentarifvertrag der OrchestermusikerInnen ausgestiegen. Die Gehälter der Berliner MusikerInnen befinden sich deshalb laut Mertens auf dem Niveau von 2001, rund 12 Prozent weniger als im bundesweiten Vergleich. Seit Ende September liegt nun der Entwurf für einen neuen Berliner Tarifvertrag auf dem Tisch.
Tanz zu Musik vom Band
„Unzumutbar“ findet Gerald Mertens vor allem die sogenannte Aushilferegelung, nach der nicht ausgelastete MusikerInnen unentgeltlich an die anderen Opernhäuser ausgeliehen werden können. Darüber tröstet ihn auch die vorgesehene Tarifsteigerung um 4,5 Prozent nicht hinweg. „Das würde bedeuten, dass die Berliner MusikerInnen alle Pflichten aus dem Flächentarifvertrag übernehmen müssten, aber trotzdem immer noch rund 8 Prozent weniger verdienen würden“, kritisiert Mertens. Außerdem seien weitere Anpassungen bis 2014 im Vertragsentwurf ausgeschlossen. Seine Gewerkschaft fordert daher die Ankopplung an die Entwicklung der Gehälter im öffentlichen Dienst.
„Ich habe wenig Mitleid mit den Orchestermusikern“, sagt Peter F. Raddatz, Generaldirektor der Berliner Opernstiftung. Sie seien doch schon die am besten bezahlte Gruppe in den Opern und wollten jetzt noch mal mehr als alle anderen. Die DOV sei die letzte Gewerkschaft, mit der noch kein Tarifabschluss erzielt worden sei. Die Gewerkschaften der Chöre, der TänzerInnen und SolistInnen seien auf die Anpassung um 4,5 Prozent sowie 65 Euro monatlich mehr ab 2011 und zwei Einmalzahlungen eingegangen. Nur die DOV sei aus den Tarifverhandlungen ausgestiegen. „Wenn wir denen jetzt mehr geben, was denken Sie, was dann hier losgeht“, sagt Raddatz. Wenn weiter gestreikt wird, dann müsse das Ballett zur Not zum Band tanzen. Oder die Sänger zum Klavier singen – wie bei „Orlando“.
Dort hatte sich das Publikum auch den letzten Akt gefallen lassen. „Es war trotzdem ein wunderbarer Abend“, sagt eine Besucherin. Und im Anschluss im Foyer habe man noch heftig diskutiert. „Was braucht Berlin denn drei Opernhäuser“, sagten die einen. „Ist doch völlig klar, dass die ordentlich bezahlt werden müssen“, die anderen.
Opernstiftung und OrchestermusikerInnen wollen trotz aller Differenzen noch im November weiterverhandeln. Pünktlich vorm Weihnachtsgeschäft.