: Das Leben, ein Glanzlicht
Am Wochenende feiert die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) ihr 40-jähriges Bestehen
Damals, als die dffb ihre Tore für den deutschen Filmnachwuchs öffnete und Willy Brandt in seiner Festrede die Hoffnung zum Ausdruck brachte, von der Akademie mögen „neue Impulse für den deutschen Film“ ausgehen arbeiteten wir mit 16-mm-Schwarzweißfilm. Es gab zwei Fernsehsender, die dritten Programme befanden sich 1966 im Aufbau. Berlin war eine geteilte Stadt. Helke Sander, eine von drei Frauen aus dem ersten Studienjahr, entwickelte ein Manifest zur „Befreiung der Frau“ – und bewarf die SDS-Chefideologen mit Eiern und frischem Gemüse. In China startete Mao Tse-tung die „Kulturrevolution“, die USA führten Krieg in Vietnam.
Heute haben wir eine Bundeskanzlerin und unzählige Fernsehprogramme. Deutschland ist eine geeinte Nation, Maos China hat sich zur Weltmacht entwickelt, die USA führen wieder Krieg. Besorgt fragt eine führende Boulevardzeitung: „Ist Deutschland sozialistischer als China?“, und zeigt Herrn Mün-Te-Fe-Ling, den Arbeits- und Sozialminister, im Mao-Look.
„Damals trifft Heute“ ist ein Programmbaustein der Festwoche, mit der die dffb ihr 40-jähriges Jubiläum feiert. Neben dieser Veranstaltung, in der erste und aktuelle Studentenfilme gezeigt werden, gibt es weitere: einen Geburtstagsfilm, einen Reigen mit Preisträger-Filmen, neuste Spiel- und Dokumentarfilme und eine Reihe zur „Neuen Berliner Schule“. Aus dem bescheidenen Anfang als Untermieter im Deutschlandhaus, dem alten Sendegebäude des SFB am Theodor-Heuss-Platz, ist eine in der Filmbranche weltweit beachtete Institution geworden, die im Filmhaus am Potsdamer Platz direkt unter dem Dach des Sonycenters residiert. Hier wird mit viel Elan und Fantasie an der „Marke dffb“ gearbeitet wird.
Oft erkennt man an den ersten Bildern, woher der Film stammt. Ein magischer Realismus zeichnet dffb-Filme aus: Regisseure wie Christian Petzold, Fred Kelemen, Detlev Buck oder Sylke Enders verpassen dem alltäglichen Leben ein Glanzlicht, sie entdecken in den Lebensbrüchen die Poesie für Utopien. Auch wenn nicht alles, was in den 40 Jahren dffb-Geschichte gedreht wurde, das Prädikat Meisterwerk verdient, besteht ein unermesslicher Wert darin, dass es gestaltete Abbilder der jeweiligen Zeit sind. Doch der Druck, sich auf dem unübersehbaren, globalisierten Markt behaupten zu können, ist groß. Die heutige Generation ist, wie es in der Shellstudie heißt, „eine pragmatische Generation unter Druck“. Jeder Absolvent müsste zusätzlich Jura studieren, um sich im Geschäft behaupten zu können, denn die Ausformulierung der Verträge ist mittlerweile zur Überlebensfrage geworden. Filmstudenten sind Dschungelkämpfer auf dem Grat zwischen Realität und Fiktion – immer kurz vorm Absturz.
An der Frage nach den Kriterien für die Beurteilung des ersten Films entzündete sich „damals“ ein erbitterter Streit zwischen Studenten und Direktion. Auf der Grundlage des Erstjahres-Films sollte entschieden werden, wer weiterstudieren durfte und wer nicht. Das war 1968 – bekanntlich ging es da in vielen Fällen weniger um Filmsprache als um Ideologie. Der Konflikt endete mit der fristlosen Kündigung der Ausbildungsverträge für 18 Studenten. Einer der Relegierten ist der neue Direktor Hartmut Bitomsky; ein anderer bin ich.
Mit „Damals trifft Heute“ stellen sich vor allem Fragen. Was zeigen die vor einem halben Leben entstandenen Filme vom Aufbruch, der Hoffnung, den Plänen und Visionen, die mit der Eröffnung der ersten westdeutschen Filmschule verbunden waren? Was für Ideen, Geschichten und Gefühle transportieren die Filme aus der Gegenwart? Gibt es Gemeinsamkeiten? Wie hat sich die Filmsprache verändert, mit welcher Technik, für welche Zuschauer und Programme wurde damals, wird heute gearbeitet? Und wie steht es um den „Zauber“ im späteren Lebensalltag?
Ostern 1968 besetzten dffb-Studenten aus Protest gegen die Verabschiedung der Notstandgesetze die Akademie, die im Haus des SFB untergebracht war, und hissten auf dem Dach eine rote Fahne. Da der Zugang zum Dach von den Besetzern versperrt war und die verhasste rote Fahne nicht vom Dach geholt werden konnte, hängten SFB-Mitarbeiter aus den meisten Fenstern des Hauses bunte Tücher. dffb-Studenten antworteten auf diese poppige Aktion mit einem großen Transparent: Kapitalismus ist grau, Sozialismus bunt!
Heute, das ist der Wunsch nach vielen Kinobesuchern, die bereit sind, sich auf die angebotenen Programme einzulassen, die sehen, hören – zuhören –, die etwas erfahren und im Diskussionsprozess mitgestalten wollen. Kurz, ein produktiver Diskurs. Damals hätte man gesagt: „Kommt massenhaft!“
GERD CONRADT
Gerd Conradt (geb. 1941) ist Filmemacher, Autor und bildender Künstler. 2001 erschien sein Film „Starbuck – Holger Meins“, der am 28. 9., 23.45 Uhr, auf RBB ausgestrahlt wird. Gemeinsam mit dem Dokumentarfilmer Hartmut Bitomsky hat Conradt das Programm „Damals trifft Heute“ zum dffb-Jubiläum ausgewählt, das Samstag bis Dienstag, 19 Uhr, im Arsenal gezeigt wird. Alle Infos unter: www.dffb.de