AMERICAN PIE : Der Buddha und die Wut
BASEBALL Bobby Cox war sehr erfolgreich. Nun geht er in Rente – und mit ihm eine ganze Ära
Die 44.532 standen und applaudierten. Sie jubelten und grölten und skandierten. Sie hatten großen Sport gesehen an diesem Abend im Turner Field zu Atlanta, aber sie feierten nicht die Sieger. Sie feierten auch nicht ihre eigene Mannschaft, die nach großem Kampf aus den Playoffs ausgeschieden war. Nein, selbst Sieger und Besiegte hatten das Jubeln und das Trauern erst einmal verschoben. Stattdessen beklatschten auch sie diesen eher rundlichen Mann im gesetzten Alter von 69 Jahren, der sich schließlich bequemte von seiner Bank aufzustehen, seine Mütze zu lüpfen und ein dankendes Kopfnicken anzudeuten.
Es war überdeutlich: Die Verabschiedung war Bobby Cox unangenehm. Dass die San Francisco Giants das Spiel 3:2 gewonnen und damit das Halbfinale der Baseball-Playoffs erreicht hatten, war plötzlich nur noch Nebensache. Viel wichtiger war, dass die Atlanta Braves ausgeschieden waren. Und Cox sie zum letzten Mal trainiert hatte.
Cox geht zwar nur in Teilzeit-Rente, er bleibt Berater der Braves. Aber es geht eine Ära zu Ende. Cox begann 1978 als Manager, wie der Cheftrainer im Baseball genannt wird, in Atlanta. Zwischenzeitlich ging er mal nach Toronto, wurde auch General Manager, also Sport-Direktor, aber vor 20 Jahren kehrte er auf die Bank der Braves zurück – und wurde zu einem der erfolgreichsten Baseball-Trainer aller Zeiten.
2.570 Siege hat Cox als Manager insgesamt angehäuft, unglaubliche 14 Mal hintereinander haben seine Braves unter seiner Aufsicht ihre Division gewonnen, fünf Mal erreichten sie mit ihm die World Series, die sie allerdings nur einmal, 1995, gewinnen konnten. Für Bruce Bochy, den Manager der siegreichen Giants, ist er trotzdem „ein Genie“.
In die Baseball-Geschichte eingehen aber wird Cox nicht nur wegen seiner Erfolge. Ein Platz in der Historie ist ihm auch deshalb sicher, weil er in all diesen Jahren einen Rekord für die Ewigkeit aufgestellt hat: Kein Manager flog so oft vom Platz wie Cox. 158 Mal verwiesen ihn die Schiedsrichter des Feldes.
Der knorrige Cox ruhte zwar meist wie ein kautabakkauender Buddha auf der Bank, aber wenn er in die Luft ging, dann richtig. Einmal soll er in New York mit bloßen Händen eine Toilettenschüssel kaputtgeschlagen haben. Auf dem Feld aber war er meist ruhiger als andere Manager. Während die im wahrsten Sinne des Wortes mit Dreck schmeißen, beschränkte sich Cox meist auf wohldosierte verbalen Entgleisungen. Wenn er auf dem Spielfeld auftauchte, dann oft nur, um die Unparteiischen von einem seiner Spieler abzulenken, der selbst kurz vor dem Feldverweis stand.
Diese Solidarität mit seinen Profis war umfassend. Wenn die Braves einen Spieler entlassen mussten, telefonierte Cox, um ihm einen neuen Job zu besorgen. So wurde er nicht nur zu einem der erfolgreichsten Manager der vergangenen Jahrzehnte, sondern auch zum beliebtesten. 2009, bei einer Umfrage unter MLB-Profis, für wen sie am liebsten spielen würden, landete Cox mit 25 Prozent unangefochten an erster Stelle. Und selbst Bob Davidson, der Cox so oft des Feldes verwiesen hat wie sonst kein Schiedsrichter, sagte einmal: „Wäre ich Spieler, dann würde ich für Bobby Cox spielen wollen.“
Mit Cox geht aber nicht nur eine Legende, sondern auch ein Vertreter einer aussterbenden Spezies. Längst haben die Technokraten, die mit ihren Laptops Statistiken bis auf die fünfte Stelle hinterm Komma auswerten, die Kontrolle des Spiels übernommen. Mit ihnen wird Baseball effektiver, professioneller. Aber auch ein bisschen langweiliger. „Ich werde ihn vermissen“, sagte Bruce Bochy. Und tatsächlich sah man dem Giants-Manager an, dass es ihm leidtat, dass seine Mannschaft Bobby Cox gerade in den Ruhestand versetzt hatte. THOMAS WINKLER