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Archiv-Artikel

Es war einmal ein Bollwerk

SCHRIFTEN ZU ZEITSCHRIFTEN Die aktuelle Ausgabe von „Transit“ versucht Säkularisierung neu zu definieren und behauptet, Religion sei konstitutiv für die Moderne

Gläubige Denker fordern, Schluss mit dem Ausschluss des Glaubens aus der Politik

Um zu verstehen, was es heißt, wenn die neueste Ausgabe der „Europäischen Revue: Transit“ unter dem Titel „Den Säkularismus neu denken“ erscheint, muss man wissen: „Transit“ ist die periodische Publikation des „Instituts für die Wissenschaften vom Menschen (IWM)“ mit Sitz in Wien. Nun ist dieses Institut vom seinem polnischen Direktor 1982 als antikommunistischer Thinktank gegründet worden. Hier sollte gegen das Sowjetimperium angedacht werden. Dafür gab es zwei Allianzen: die massive Einbeziehung von osteuropäischen Forschern sowie eine Nähe zum Vatikan. Wie weit diese Nähe ging, war Stoff für Gerüchte. Gesichert sind jedoch die regelmäßigen Sommerakademien in Castel Gandolfo, der Sommerresidenz des Papstes, unter Beisein von Johannes Paul II. Angesichts dessen kann man bei einer Publikation des IWM zum Thema Säkularismus davon ausgehen, keinen flammenden Appell für ein Mehr an Säkularisierung in Händen zu halten.

Es ist dies kein Debattenband, der unterschiedliche Meinungen zum Thema versammelt, sondern vielmehr eine Streitschrift, die genau das hält, was der Titel verspricht: den Säkularismus neu zu denken. Alle Autoren stoßen in dasselbe Horn, alle Beiträge sind Plädoyers für eine Neukonzeption unserer säkularen Ordnungen. Nun muss man die Stoßrichtung all dieser Texte keineswegs teilen, um den Band dennoch mit Gewinn zu lesen. Das liegt zum einen an der herausragenden Qualität der Texte illustrer Autoren (wie Charles Taylor, José Casanova oder Jean Baubérot) und zum anderen an der tatsächlichen gesellschaftlichen Dringlichkeit der Fragestellung. Charles Taylor, geistiger Mentor des Bandes und spätestens seit seiner Monumentalstudie „Ein säkulares Zeitalter“ eine der wichtigsten Stimmen in dieser Debatte, stellt die Frage in seinem Eröffnungsbeitrag: „Was ist die richtige Antwort des demokratischen Staates auf die neue religiöse Vielfalt?“

Einig sind sich alle Autoren, was die falsche Antworten sind: laïcité ebenso wie das Konzept des gegen alle Religionen neutralen Staates. Die laïcité sei ein „separatistisches Narrativ“, bei dem die Trennung von Staat und Kirche auf Unterordnung und Kontrolle von Letzterer hinausläuft. Aber auch die Neutralität des Staates wird hier unisono verworfen: Sie zwinge den Gläubigen dazu, seine religiösen Überzeugungen „an der Garderobe der öffentlichen Sphäre abzugeben“. Beide Antworten seien somit sowohl undemokratisch, da despotisch, als auch ineffizient, da sie das Drängen der Religionsgemeinschaften, die eine größere öffentliche Präsenz beanspruchen, nicht beantworten können. Trotz dieser angeblich eindeutigen Unzulänglichkeiten würden wir aber an einer Neuorientierung scheitern, da uns Säkularisierung zum Fetisch geworden sei: ein quasisakraler Selbstzweck. Im Gegenzug würde Religion pauschal als intolerant, illiberal und irrational abgestempelt. Hier beginnt nun jene Kerbe, die Joseph Ratzinger eröffnet hat, in die ihm alle intellektuellen Gläubigen folgen: die große Verkehrung, in der die Religion nicht mehr der Antipode der Moderne ist, sondern deren konstitutiver Aspekt. (Gut, das war schon Max Webers Thema.) Aber nunmehr sollen auch Aufklärung, Humanismus, ja auch die Säkularisierung selbst, alles, was gegen es gerichtet war, soll nunmehr seine eigentlichen Wurzeln ebendort haben – im Christentum. Alles reklamiert dieser aufgeklärte Glauben für sich. Und wenn die Säkularisierung in seinen Augen die „Bedingungen für religiösen Pluralismus schaffen“ soll, das heißt die Bedingungen für ein Höchstmaß an religiöser Freiheit, so werden die Prinzipien von Freiheit und Gleichheit, die früher – auch – gegen die Macht der Religion gerichtet waren, nunmehr gerade von dieser für ihren eigenen Einspruch benutzt!

Redefinition des Säkularismus bedeutet nämlich, wie man im Verlauf der Lektüre eindeutig erkennt, eine Verkehrung, die das Säkulare aus einem Bollwerk gegen die Religion zum Garanten der vielen Religionen macht. Besonders interessant ist dabei der Beitrag von Rajeev Bhargava, der dies anhand des indischen Modells darstellt. Er meint, der westliche Säkularismus würde nur für religiös homogenisierte Gesellschaften funktionieren, nicht jedoch für die lebhafte Präsenz einer Vielfalt von Religionen. Der indische Säkularismus hingegen würde die Neutralität des Staates durch eine „prinzipiengeleitete Distanz“ ersetzen, die eine wechselseitige Einmischung von Religion und Staat ermöglicht. Religionen können Ausnahmeregelungen einfordern, denn religiöse Argumente sind aus dem Politischen nicht ausgeschlossen. Im Windschatten des Islam und seiner Sichtbarkeit versuchen also gläubige Denker, die Trennlinie zwischen Staat und Religion zu verschieben und fordern, Schluss mit dem Ausschluss des Glaubens aus der Politik. Die Redefinition des Säkularismus erweist sich, eine Redefinition der Demokratie zu sein, wonach freie Religionsausübung zu deren notwendiger Bedingung wird. Die Parole lautet nicht einfach mehr Freiheit für die Religionen, sondern in der argumentationstypischen Verkehrung: „Ohne Religionsfreiheit gibt es keine Demokratie!“ ISOLDE CHARIM

■ „Transit“: Den Säkularismus neu denken (Ausgabe 39), Verlag Neue Kritik, Frankfurt am Main 2010, 14 Euro