: Pakistans riskanter Frieden mit den Taliban
Zwiespältige Folgen eines Abkommens mit Führern der Islamistenhochburg Nordwasiristan an Afghanistans Grenze
ISLAMABAD taz ■ Es war ein riskanter Schritt. Am 6. September schloss Pakistans Regierung mit traditionellen Führern in der Bergregion Nordwasiristan sowie den Taliban einen Friedensvertrag, der das Ende der Offensiven von Pakistans Armee gegen dort vermutete Talibankämpfer besiegelte. Die autonome Stammesregion liegt im bergigen Grenzgebiet zu Afghanistan und gilt als Trainings- und Rückzugsgebiet von al-Qaida.
„Wir sollten die Vergangenheit vergessen und uns auf die Zukunft konzentrieren“, so Generalleutnant Ali Mohammad Jan Aurakzai, Gouverneur der Nordwestgrenzprovinz. Im März hatte er als Oberbefehlshaber der Armee in dieser Region die Großoffensive begonnen. Das Ergebnis: Mindestens 220 Tote, über 700 Verletzte. Pakistans Politik musste erkennen, dass die Durchsetzung ihrer Interessen mit militärischen Mitteln zu einer starken Solidarisierung zwischen paschtunischen Stämmen im Grenzgebiet und radikalen Untergrundkämpfern führte. Diese Erkenntnis führte zu der Vereinbarung zwischen Stammesoberhäuptern, Taliban und pakistanischer Regierung.
Der Vereinbarung ging ein Ende Juni ausgerufener, einseitiger Waffenstillstand der Taliban in Nordwasiristan voraus. Damit wurden Verhandlungen in einer traditionellen Stammesversammlung (Jirga) ermöglicht. Mit dem Waffenstillstand der Taliban auf pakistanischer Seite ging allerdings eine Verstärkung ihrer Aktivitäten im benachbarten Südafghanistan einher.
Die Forderungen der Taliban lauteten: Rückzug der Armee in die Kasernen, Aufhebung der Straßensperren, Wiederherstellung der Stammesprivilegien – darunter das Recht auf Selbstjustiz und Verwaltungsautonomie –, Entlassung von Gefangenen sowie Amnestie für Talibankämpfer und ihre religiösen Führer. Mehr als zehn Wochen tagte die aus 45 Männern bestehende Jirga; am Schluss wurden die Forderungen alle erfüllt. Und mit dem Friedensabkommen versprach die Armee den kompletten Rückzug und die Freilassung nicht nur aller gefangenen Taliban, sondern auch die Rückgabe ihrer Waffen. Die Stammesführer und Taliban verpflichteten sich ihrerseits, keine grenzüberschreitenden Kampfhandlungen durchzuführen und keine ausländischen Kämpfer zu beherbergen.
Presseberichten zufolge stand der gesuchte afghanische Talibanführer Mullah Omar persönlich hinter der Vereinbarung. Nationale Sicherheitsanalysten und pakistanische Oppositionelle analysieren den Friedensschluss als geordneten Rückzug, der die Verlegung von Militär an die neue Bürgerkriegsfront in der westpakistanischen Unruheprovinz Belutschistan ermögliche.
International erntet Musharraf Lob, aber nicht nur. US-Präsident George W. Bush sprach von Musharrafs „Hoffnung, dass ökonomisch Vitalität eine Alternative zu Gewalt und Terror bietet“. US-Demokratenführer John Biden hingegen warnte, nun könnten Taliban aus pakistanischen Rückzugsgebieten Nato-Truppen in Afghanistan angreifen. Großbritanniens Außenstaatssekretär Kim Howells meinte demgegenüber: „Man sollte überlegen, ob man es nicht auf der anderen Seite der afghanischen Grenze anwenden könnte.“
Kritiker der Vereinbarung verweisen auf das Nachbargebiet Südwasiristan, wo ein vergleichbarer Friedensschluss im April 2004 als Schritt zur Talibanisierung gesehen wird. Innerhalb von zwei Jahren haben dort die lokalen Taliban ein regelrechtes „Emirat“ etabliert, mit unmittelbarer Anwendung der Scharia, öffentlichen Hinrichtungen und Gewalt gegen Nichtregierungsorganisationen sowie öffentliche Einrichtungen, Schulen und regierungsnahe Stammesführer. Im Februar zeigte der afghanische Privatsender Tolo TV Bilder, bei denen ein aufgebrachter Mob in der südwasirischen Stadt Mandrakhel unter „Lang lebe Ussama Bin Laden und Mullah Omar“-Rufen mehrere Menschen lynchten. Beide international gesuchte Terroristen werden in der Region vermutet.
Ob Nordwasiristan nun zum Frieden findet, bleibt unklar. Einen Tag nach der feierlichen Übergabe der Friedensurkunden in der Provinzhauptstadt Peshawar töteten Taliban in der Nähe der nordwasirischen Hauptstadt Miranschah den regierungsnahen Stammesältesten Rahim Jan. Er habe gestanden für die USA spioniert zu haben, hieß es in einem Schreiben, das neben der Leiche gefunden wurde. Vor einer Woche kam es im Grenzgebiet zu Vorstößen von Taliban mit mehreren Toten, woraufhin US-Kampfhubschrauber Nordwasiristan überflogen. Immer wieder wird gemeldet, Ussama Bin Laden halte sich in dem Gebiet auf – durch das Abkommen vor Verfolgung geschützt.
NILS ROSEMANN