Deutsche verschlafen Wandel

Zwei Drittel der 200 größten deutschen Konzerne scheren sich keinen Deut um die Erderwärmung

Insgesamt ist dasBewusstsein für denKlimawandel auf denBritischen Inseln am größten

VON NICK REIMER

Der Energiekonzern Eon hat gestern eine umfassende Forschungsinitiative mit dem Schwerpunkt Klimaschutz gestartet. „Insgesamt werden wir 100 Millionen Euro investieren“, erklärte Eon-Vorstand Manfred Krüper in Düsseldorf. Eon-Konkurrent Energie Baden-Württemberg AG (EnBW) veranstaltete vergangene Woche einen firmeneigenen „Ersten Deutschen Klimakongress“. Sharp Deutschland hat gestern seine Energieversorgung auf „grünen Strom“ des Ökostromanbieters NaturEnergie umgestellt. Und die Dresdner Bank empfiehlt Aktien von Unternehmen der Erneuerbare-Energien-Branche (siehe Interview Seite 4). Hat die deutsche Wirtschaft den Klimaschutz entdeckt?

Mitnichten: Bei der Mehrheit der deutschen Konzerne ist die Erderwärmung weder Thema noch Bestandteil strategischer Überlegungen. Der Bundesverband Investment und Asset Management (BVI) hat gerade die 200 größten deutschen Börsenkonzerne unter die Lupe genommen – „Größe“ gemessen nach ihrer Marktkapitalisierung. Ergebnis: Zwei Drittel dieser Konzerne verweigern Auskünfte über ihren Schadstoffausstoß.

„Carbon Disclosure Projekt“ nennt sich die Initiative von 225 Anlegern – eine Art Klimaschutz-Informationsstelle über die Wirtschaft. „Für Banken, Versicherer, Fonds spielt in ihrer Investmentstrategie zunehmend der Klimaschutz eine Rolle“, begründet Frank Bock, Sprecher des Bundesverbandes Investment und Asset Management (BVI), das Engagement der Finanziers.

Weltweit vereinen die am „Carbon Disclosure Project“ interessierten Investoren insgesamt über 31 Billionen Dollar (24,3 Billionen Euro). Unter den 225 Investoren, die sich für ein klimaverträgliches Investment interessieren, sind auch 32 in Deutschland registriert – Unternehmen wie DWS Investment, die Helaba Invest Kapitalgesellschaft, die Landesbank Baden-Württemberg, die Münchner Kapitalanlage GmbH oder die Deutsche Bank.

Die Untersuchung des Bundesverbandes Investment und Asset Management (www.bvi.de/de/bvi/cdp/index.html) lobt Firmen – BMW, Münchner Rück, BASF oder etwa Siemens machen sich demnach die richtigen Gedanken. Und tadelt: Firmen wie Degussa, Karstadt-Quelle, Jenoptik, der Rüstungsbauer Rheinmetall oder der Axel Springer Verlag haben rundheraus abgelehnt, sich mit dem Thema überhaupt zu befassen. Klimaschutz-Strategien scheinen auch bei Firmen wie Vattenfall, Dyckerhoff, Heidelberger Zement oder dem Windanlagenbauer Repower Systems nicht vorhanden – sie lehnten zwar nicht prinzipiell ab, verweigerten aber ihre Auskunft.

„Der Klimawandel wird sich direkt und massiv auf die Weltwirtschaft, die Kapitalmärkte und letztlich auf das Vermögen der Aktionäre auswirken“, urteilt Joachim Faber, Vorstandsmitglied der Allianz. Die Carbon-Disclosure-Umfrage machte klar, dass etliche Unternehmen aber noch nicht sagen können, auf welche Weise ihr Geschäft betroffen sein wird.

Für die Mehrzahl der Unternehmen, die sich an der Umfrage beteiligten, „sind Veränderungen der Energiekosten nur geringfügig ergebnisrelevant“, heißt es in der Auswertung. Klartext: Das Stöhnen über steigende Belastung durch die Klimaschutzpolitik einer Regierung – Stichwort EEG-Umlage, Zertifikate-Handel oder Abgabe für Kraft-Wärme-Kopplung – ist nichts als das Rasseln der Lobbyisten.

Zum vierten Mal wurde weltweit die Klimapolitik von 2.100 Konzernen untersucht. Erstmals war Deutschland dabei. „Wegen der dünnen Datenlage ist es uns nicht möglich, branchenspezifische Auskünfte zu geben“, so BVI-Sprecher Bock. In anderen Ländern ist das Bewusstsein größer. So antworteten in Frankreich 45 Prozent der Unternehmen, in Brasilien mehr als die Hälfte, in Japan sogar zwei Drittel. Bock: „Das größte Engagement ist in Großbritannien zu verzeichnen: Hier antworteten 83 Prozent der größten Unternehmen.“

Insgesamt, so Bock, sei das Bewusstsein für den Klimawandel auf der Insel am größten. „Augenscheinlich eine Mentalitätsfrage: Sogar die Boulevardzeitungen sind bei diesem Thema progressiv.“

Augenscheinlich nicht nur die. „Mich hat beeindruckt, wie namhafte britische Unternehmen das Problem der Erderwärmung analysiert haben und Handlungsstränge dagegen entwickeln“, erklärt EnBW-Manager Jürgen Hogrefe: „Tatsächlich hinkt die deutsche Wirtschaft meilenweit hinter den Anforderungen her.“ EnBW sucht das zu ändern: Der firmeneigene Klimakongress mündete in einer „Berliner Erklärung“, einer Plattform, die, so Hogrefe, „die Klimaaktivitäten aller großen deutschen Firmen bündeln soll“.