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Archiv-Artikel

Erlösung finden

Er könnte der größte deutsche Popstar sein: Maximilian Hecker aber besinnt sich mit seinem vierten Album auf Ruhe und Arten höheren Glücks

TEXT UND INTERVIEW RENÉ HAMANN

Es sah nicht unbedingt gut aus für Maximilian Hecker. Mit seinem furiosen Start, dem kommerziell erfolgreichen Album „Infinite Lovesongs“ (Kitty-Yo 2001), hatte er viele Erwartungen geweckt, denen er auf zwei Folgealben mehr oder minder vergeblich gerecht werden wollte. Hecker galt als Liebling der Kissen, als Hänfling mit Hundeblick, Gefühlsterrorist für die Massen – als Falsettsänger, der entweder zu heißen Tränen rührte oder wütende Ausfälle provozierte. Und der mit seiner Musik auf der Stelle trat und deswegen die Gefolgschaft der Massen wieder verlor.

Es wurde Zeit für eine Veränderung. Hecker beschloss, die Schönheit seiner Musik in eine andere Richtung zu schicken: seiner sensiblen Musik eine eher epische Breite zu geben, sozusagen als fließendes Gegenstück zu den fragmentierten, zerbrechlichen Songs seiner ersten drei Alben. Was dabei herausgekommen ist, ist Musik für ruhige Nachmittage, Musik, die beim Ausfegen des selbstgeführten Cafés laufen kann. Perfekte Musik, die sich oft nur mit einem Hang zum Morbiden, wie Hecker ihn selbst verkörpert, ertragen lässt. Eine weiße, spröde Musik, die aber, paradox genug, bei aller Kühle eine besondere Intimität und Wärme entwickelt. Anders gesagt: Für Fans klassischer Popmusik, also einer, in der viel Klavier gespielt und Gitarre gezupft wird, das Schlagzeug sanft bleibt und unterstreichende Bläser eine große Rolle spielen, ist „I’ll Be a Virgin …“ ein geschmackssicheres Angebot. In den Texten – metaphernreiche Liebestexte – geht es gewohnt lyrisch zu. Hecker trägt sie nicht mehr nur mit Falsett-, sondern diesmal auch mit Bruststimme vor.

Er ist heute ein etwas bleicher Endzwanziger, schlaksig und mit einem lackierten Fingernagel. Anstelle eines Herzensbrechers scheint er eher ein wacher Stubenhocker zu sein und weit weniger arrogant, megaloman oder divenhaft, als man annehmen könnte. Im Gegenteil zeigte er sich in den kalten Räumen seiner neuen Plattenfirma als eloquenter Gesprächspartner.

taz: Sie haben eine sehr perfekt produzierte Platte gemacht. Wie viel Druck stand dahinter, gemessen an Ihrer ersten, sehr erfolgreichen Platte und den beiden Nachfolgern, die nicht so gut liefen?

Maximilian Hecker: Der Druck bestand darin, dass alle im Studio Leistung, Performance bringen. Das war der einzige Druck, denn ich hatte immer das Glück, dass ich zum richtigen Zeitpunkt gute Lieder hatte.

Das ist Ihre erste Platte für das Label V2 nach dreien für Kitty-Yo. Wie fühlt sich das an?

Zunächst gab es da keinen Unterschied. Man arbeitet mit einer Plattenfirma ja erst dann, wenn man das fertige Band abliefert. Es ist auf jeden Fall ein gutes Gefühl, dass man noch mal einen Schritt nach vorne machen kann. Psychologisch auch. Dass man von außen wieder anders, neu wahrgenommen werden kann. Ich war acht Jahre bei Kitty-Yo. Dann habe ich mir gedacht: Andere haben auch gewechselt, da muss doch was dran sein, ich versuche es jetzt auch mal. Es war mitnichten ein Streit, der zu diesem Schritt geführt hat.

Reden wir über Einflüsse. Man hört viel Dylan und Cohen heraus auf der neuen Platte.

Dylan habe ich erst in den letzten anderthalb Jahren entdeckt. Diesmal habe ich häufiger als geplant mit der Bruststimme gesungen. Ein Ansatz, sich zurückzunehmen und reifer zu klingen, indem man weniger instrumentiert. Die Leute mögen es, wenn sie etwas durchhören können und nicht an der Lautstärke drehen müssen, wenn’s auf der Platte Laut-leise-Effekte hat. Das war auch ein Kriterium: weniger Bombast, mehr Durchhörbarkeit.

Wie sieht es denn sonst aus – was hören Sie sonst so für Musik?

Ich höre wenig Musik und eigentlich immer nur die gleiche. Ich höre immer noch gern „The Bends“ von Radiohead oder so. Auf Reviews reagiere ich nicht mehr, das meiste ist gar nicht so gut, wie überall behauptet wird.

Auf der neuen Platte gibt es zwei Stücke, die sich mit Schneewittchen befassen, „Snow White“ und „Feel Like Children“. Ein Leitmotiv?

Schneewittchen ist eine Figur in einem Zustand zwischen Tod und Schlaf. Der Schlaf ist für mich eine Metapher für Ruhe. Eine Möglichkeit, in der realen Welt einen Zustand der Außerweltlichkeit zu erleben. Anders gesagt: Schneewittchen erlebt einen ewigen Frieden, aber eben als lebender Mensch. Was sie erfährt, ist ein Paradoxon – dass man lebend die Erlösung finden kann, dafür aber eben nicht sterben muss.

Musik und Text sind bei Ihnen bislang oft sehr düster gewesen. Auf der neuen Platte herrscht aber so eine Schmeichelhaftigkeit vor, wie ich fand.

Mein Hauptproblem war immer, dass mich etwas glücklich machen kann, was andere Leute nicht glücklich macht. Gegensätze zum Beispiel. Ein Text, der „Apokalypse“ heißt und dazu eine wunderschöne Musik. Das lässt mir einen Schauer über den Rücken laufen. Ich glaube auch, dass sich die Menschen nach einer höheren Art von Glück sehnen, als das, was sie von DJ Ötzi oder so geliefert bekommen. Und sie sehnen sich nach Ruhe, nach ewiger Ruhe.

Gibt es für Sie außer der Musik noch andere Mittel, diese Ruhe und Glückseligkeit zu erreichen?

Gegenseitige Beachtung. Aber Musik ist klar das verlässlichste und einfachste Mittel.

Und Drogen?

Ich würde auch keinesfalls Drogen verteufeln, obwohl ich selbst keine nehme, weil ich für Drogen zu protestantisch bin.

Sie machen also Musik, um Erlösung zu finden?

Ja. Ich mache das in erster Linie für mich. Und dann erst folgt Stufe 2, also die Veröffentlichung. Ich mache das alles nicht, um junge Mädchen zu beeindrucken oder so, weil: Die kennen mich ja gar nicht. Die würden ja nicht mich meinen, der ich da sitze, Klavier spiele und singe, sondern nur eine Projektion.

Maximilian Hecker: „I’ll Be a Virgin, I’ll Be a Mountain“ (V2). Nächster Auftritt in Berlin: 15. 11. im Roten Salon