: „Jede Einbürgerung ist gut“
INTERVIEW LUKAS WALLRAFF UND NATALIE WIESMANN
taz: Herr Laschet, Sie sind der einzige Integrationsminister in Deutschland. Warum nehmen Sie nicht an der ersten Islam-Konferenz bei Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble teil?
Armin Laschet: Man kann auch Integrationspolitik betreiben und den Dialog mit Muslimen pflegen, ohne an jeder Konferenz teilzunehmen. Wenn die Bundesregierung Erfahrungen aus dem Land mit den meisten Muslimen aufnehmen will, steht Nordrhein-Westfalen bereit.
Was versprechen Sie sich dann als Beobachter von dieser Konferenz?
Sie ist schon wichtig, weil zum ersten Mal auf Bundesebene in institutionalisierter Form der Dialog mit dem Islam geführt wird, und das kontinuierlich über mehrere Jahre. Es ist wichtig, dass alle islamischen Strömungen mit am Tisch sitzen. Es ist auch gut, dass es sich um keinen Anti-Terror-Gipfel handelt.
Wenn aber insgesamt drei Innenminister teilnehmen – wird da nicht wieder das Signal ausgesendet, dass der Islam für die Politik vor allem ein Sicherheitsproblem ist?
Der Innenminister ist auf der Bundesebene für das Verhältnis von Staat und Kirche zuständig, und er ist auch der Verfassungsminister. Insofern macht es schon Sinn. Außerdem sind auch Kultusminister beteiligt. Aber ich würde in die Teilnehmerliste nicht zu viel hineininterpretieren. Wichtiger ist für mich, dass im Vorfeld des Gipfels nicht über Terrorismus schwerpunktmäßig gesprochen worden ist.
Wie gut kennt Schäuble eigentlich den Islam, wenn er seine Gäste im Fastenmonat Ramadan zu einem gemeinsamen Mittagsimbiss einlädt?
Das müssen Sie ihn selbst fragen.
Sollten sich die Muslime in Deutschland auf eine gemeinsame Vertretung einigen, wie es sich Schäuble wünscht?
Das wäre gut, vor allem im Hinblick auf den Islam-Unterricht. In NRW sehen wir schon Bewegung. Die Verbände haben zugesagt, dass sie in absehbarer Zeit eine Vertretung bilden, die als Verhandlungspartner zur Verfügung steht. Mir liegt viel daran, dass wir bald einen bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht haben.
Von den Muslimen in Deutschland wird immer wieder verlangt, dass sie sich vom Terrorismus distanzieren. Sind diese ständigen Appelle nötig?
Nein, finde ich nicht. Ich nehme den Islam-Vertretern in Deutschland ab, dass sie sich von der Gewalt distanzieren, das müssen sie nicht ständig wiederholen. Als Katholik muss ich mich auch nicht jedes Mal rechtfertigen, wenn die IRA einen Anschlag in Nordirland verübt.
Auch Sie legen aber Wert darauf, dass sich die Muslime zum Grundgesetz bekennen. Gibt es hier noch Nachholbedarf?
Ich bin mir nicht sicher, ob jeder Punkt im Grundgesetz jedem schon verinnerlicht ist – in Fragen der Presse- und Meinungsfreiheit etwa. Auch was die Gleichberechtigung von Mann und Frau angeht, bedarf es noch einer Diskussion.
Müssen Muslime akzeptieren, dass ihre Töchter am Schwimmunterricht und Sexualunterricht teilnehmen?
Ja, jeder und jede muss teilnehmen, das gehört zur Schulpflicht. Da darf es auch bei Muslimen keine Ausnahme geben. Wir setzen das übrigens auch gegenüber christlichen Baptisten in Ostwestfalen durch, die ihre Kinder nicht in den Sexualunterricht schicken wollen.
Trägt das Kopftuchverbot, das auch NRW beschlossen hat, zur Integration bei?
Es schadet ihr jedenfalls nicht. Das Verbot gilt ja nicht für alle öffentlichen Einrichtungen. In meinem Ministerium arbeiten zum Beispiel Referentinnen mit Kopftuch. Es geht um Lehrerinnen. Wenn in einer Klasse zwei muslimische Mädchen mit Kopftuch und zwei ohne sitzen, verletzt die Lehrerin ihre Neutralitätspflicht, wenn sie quasi als die bessere Muslimin auftritt und signalisiert, ihr müsst Kopftuch tragen.
Bei diesen Fragen sind Sie also für klare Regeln. Aufgefallen sind Sie aber, weil Sie im Gegensatz zu anderen Unionspolitikern unbeschwert darüber reden, dass Deutschland eine multikulturelle Gesellschaft sei. Wie erklären Sie das Ihren Parteifreunden?
Das ist einfach die Realität. Allein dass der Innenminister eine Islam-Konferenz macht, zeigt doch, dass wir eine Gesellschaft nicht nur einer Kultur sind. Viele Kulturen heißt auf Lateinisch: multikulti. Hier leben über drei Millionen Muslime, die bleiben auch auf Dauer hier.
Unionspolitiker sagen trotzdem immer noch, Deutschland sei kein Einwanderungsland.
Diese These war schon immer falsch. Das war eine Lebenslüge. Wenn in ein Land mehrere hunderttausend Menschen jedes Jahr ziehen, ist das natürlich ein Einwanderungsland. Ich glaube, diese Erkenntnis setzt sich auch in der Union durch.
Sie fordern eine Einbürgerungskampagne. Warum?
Seit Jahren gehen die Einbürgerungszahlen zurück. Ich glaube, das hat auch damit zu tun, dass wir in den letzten Jahren nicht unbedingt das Signal ausgesendet haben, ihr seid hier willkommen, es ist gut, dass ihr da seid. Wie über Migranten gesprochen wird, beeinflusst die Menschen, ob sie ja sagen zum Weg der Einbürgerung. Wir dürfen deshalb jetzt auch keine weiteren gesetzlichen Hürden aufbauen.
Genau das wollen die CDU-Innenminister doch unbedingt.
Das war vor der Innenminister-Konferenz im Mai. Ich bin froh, dass die Gesinnungstests jetzt vom Tisch sind. Die Integrationskurse, die das Bundesamt für Migration im Moment erarbeitet, sind etwas ganz anderes.
Sie haben sich schon als junger Abgeordneter in der Regierungszeit von Helmut Kohl für eine Liberalisierung des Staatsbürgerrechts eingesetzt. Nach Umfragen unter türkischen Migranten ist die größte Hürde für die Einbürgerung nach wie vor das Verbot von Doppelpässen.
Das ist bedauerlich, aber es macht Sinn und entspricht dem internationalen Recht, dass man doppelte Staatsbürgerschaften vermeiden sollte. Für Zuwandererkinder, die hier geboren sind, gibt es ja inzwischen die Möglichkeit, erst einmal zwei Pässe zu haben. Wir waren aber immer dafür, dass sich die Menschen mit 21 Jahren entscheiden müssen. Das finde ich richtig, weil sie sich dann mit ihrer Entscheidung für den deutschen Pass wirklich zu Deutschland bekennen. Deshalb sage ich auch: Jede Einbürgerung ist ein Integrationserfolg.
Roland Koch und Günther Beckstein sagen, eine Einbürgerung kann nur der Schlusspunkt der Integration sein.
Das sage ich auch, und deshalb ist es ja auch ein Erfolg. Ich will die Staatsbürgerschaft auch nicht verschenken. Es ist heute schon so, dass Einbürgerungswillige vom Verfassungsschutz überprüft werden. Sie dürfen keine Vorstrafen haben und müssen Sprachkenntnisse vorweisen und in fester Arbeit sein. Das ist auch gut so. Aber ein Ausländer, der diese Voraussetzungen erfüllt und dann sagt, ich will Deutscher werden, ich gebe meine alte Staatsbürgerschaft ab, hat einen Riesenschritt auch innerlich gemacht. Darüber sollten wir uns freuen und nicht noch mal seine Gesinnung testen.
Das haben Beckstein und Koch nicht begriffen?
Ich denke schon.
Wenn eine Einbürgerungskampagne Erfolg haben soll: Muss der Staat seinen Neubürgern dann auch garantieren, dass er sich genauso für sie einsetzt wie für Alteingesessene?
Ja.
Hat in dieser Hinsicht der Fall des CIA-Entführungsopfers Khaled El Masri der Glaubwürdigkeit geschadet?
Ja, der Umgang mit dem Fall El Masri hat den Integrationsbemühungen geschadet, weil ein deutscher Staatsbürger nicht den Schutz des Staates bekommen hat, den er verdient gehabt hätte. Die damalige Regierung hätte bei den Amerikanern Auskunft verlangen müssen, was mit diesem Staatsbürger passiert ist, und seine Interessen vertreten müssen, egal was er sich möglicherweise hat zuschulden kommen lassen.
Auch die jetzige Regierung hält sich zurück, was etwa die Forderungen nach einer Entschädigung für El Masri angeht.
Ich weiß nicht, ob sie sich diplomatisch einsetzt, so was macht man nicht auf dem offenen Markt. Das Problem war, dass man sich in der rot-grünen Regierungszeit als Staat bewusst nicht für einen Bürger eingesetzt hat, wie das in diesem Fall nachgewiesen ist. Ich erwarte, dass die jetzige Bundesregierung seine rechtlichen Interessen gegenüber einem fremden Staat vertritt.
Herr Laschet, Ihr Ministerpräsident Jürgen Rüttgers hat im Wahlkampf 1999 noch „Kinder statt Inder“ gefordert, jetzt verkauft er Nordrhein-Westfalen als „Land der Integrationschancen“. Wie glaubwürdig ist so eine 180-Grad-Wende?
Ich glaube, Jürgen Rüttgers ist damals falsch verstanden worden. Eigentlich wollte er vor allem sagen: Bildet doch erst einmal die Leute aus, die hier leben, statt billige Arbeitskräfte aus dem Ausland anzuwerben. Wie wichtig ihm die Integration ist, hat er schon 2001 gezeigt, als er in NRW gemeinsam mit den anderen Parteien eine Integrationsoffensive angestoßen hat. Es kam also nicht aus heiterem Himmel, dass er nach seiner Wahl das erste Integrationsministerium eingerichtet hat.
Haben Migranten in NRW jetzt bessere Integrationschancen als anderswo?
Ich würde nicht behaupten, dass wir schon so weit sind. Wir arbeiten daran. Zuwanderer sollen endlich gleiche Bildungschancen haben. Deshalb fangen wir mit vier Jahren mit der Sprachförderung an. Aber das reicht natürlich nicht. Migrantenkinder brauchen auch in der Schule und bei der Suche nach Ausbildungsplätzen besondere Unterstützung.
Die SPD-Politikerin Lale Akgün sagt, Sie verkaufen alten Wein in alten Schläuchen und spielen nur die Rolle des „good guy“ der CDU.
Das ist Unsinn. Der Ministerpräsident und die Landesregierung und der größte Landesverband der CDU unterstützen in vollem Umfang meine Politik. Wir setzen pragmatisch, zielgerichtet und konkret das um, worüber Rot-Grün jahrzehntelang nur geredet hat. Eine älter werdende Gesellschaft muss erkennen, dass sie in ihrem eigenen Interesse jedes Potenzial fördern muss. Wenn ich in zwanzig Jahren in Ruhestand gehe, wer soll denn dann meine Rente bezahlen? In den großen Städten haben heute schon 50 Prozent der Kinder eine Zuwanderungsgeschichte. Wer, wenn nicht sie, soll in zwanzig Jahren unser Bruttosozialprodukt erwirtschaften? Das heißt: Es geht mir nicht vorrangig darum, nett zu Ausländern zu sein. Es geht nicht um Altruismus. Diese Gesellschaft muss erkennen: Es nützt ihr selbst, wenn sie Integration zum Erfolg macht.
Mit Cem Özdemir haben Sie jetzt einen Grünen in Ihren neuen Beirat für Migration geholt. Wollen Sie schon mal für Schwarz-Grün üben?
Nein, Cem Özdemir ist einfach ein exzellenter Fachmann und Freund von mir. In Nordrhein-Westfalen haben wir jetzt erst einmal nach 40 Jahren SPD eine neue Koalition mit der FDP, und die funktioniert gut. Aber auf anderen Ebenen ist viel in Bewegung. Es ist sind ja nicht alle glücklich mit dem Erscheinungsbild der großen Koalition. Dass eine Zusammenarbeit mit den Grünen bald mal funktionieren wird, das glaube ich schon.