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Archiv-Artikel

„Ramba-Zamba ist nicht mein Ding“

MUSIK Der Brite und Wahlberliner Robert Metcalf arbeitet als Entertainer für Kinder. Während Erwachsene häufig den Lerneffekt an seinen Songs schätzen, geht es seiner kindlichen Fangemeinde vor allem um das Alberne daran. Er habe nichts gegen Pädagogik, sagt Metcalf – aber sie müsse schon Spaß machen

Robert Metcalf

■ Der Mann: Metcalf wurde 1947 in Birmingham geboren. Er studierte in London und Paris Jura, kam 1973 für ein Praktikum bei der Europäischen Gemeinschaft nach Berlin und blieb in Charlottenburg hängen. Hier studierte er Sozialpädagogik, arbeitete in der Drogenberatung – und schrieb nebenher Lieder und Chansons. Der mit einer Deutschen verheiratete Brite hat zwei Kinder im Erwachsenenalter und lebt in Tegel.

■ Die Musik: Seit 1991 ist Metcalf selbständiger Songwriter. Sein Markenzeichen ist eine schwarze Melone. Bekannt und mehrfach ausgezeichnet wurde er mit Kinderlieder-Produktionen wie „Tiere wie ich und du“ oder „Roberts Liederladen“. Neben seinen Auftritten ist Metcalf regelmäßig in Kinderfernsehsendungen wie der „Sendung mit dem Elefanten“ und dem Sandmännchen zu Gast. Am 5. April gastiert Metcalf mit seinem deutsch-englischen Liederprogramm „Englishman in Berlin“ für Erwachsene im Theater O-Tonart in Schöneberg.

INTERVIEW NINA APIN FOTOS DAVID OLIVEIRA

taz: Herr Metcalf, für viele Kinder sind Sie der Mann mit der Melone. Was hat es mit dem schwarzen Hut auf sich, den Sie stets auf der Bühne tragen?

Robert Metcalf: Als ich Anfang der 90er Jahre meine ersten freiberuflichen Versuche machte, brauchte ich professionelle Fotos. Der Fotograf wollte mir unbedingt ein Requisit verpassen. Er sagte: Du bist doch Engländer, auf dem Flohmarkt findest du bestimmt eine Melone. Ich bin diesem Fotografen heute sehr dankbar: Die Melone steht mir erstaunlich gut. Und sie ist Teil meiner Auftritte geworden. „Ist es eine Zitrone?“ frage ich die Kinder. Die schreien: „Melone“. Manchmal setze ich den Hut andersrum auf und stelle fest: Geht nicht. Ich drehe und wende, und frage: „Mit dem Loch nach unten – tragt ihr das hier so? Dann mache ich das auch.“ Schon habe ich Zugang zu den Kindern.

Wie viele Hüte besitzen Sie?

Vier – ich bin ziemlich vergesslich und muss dauernd welche nachkaufen. Für mein Erwachsenenprogramm „An Englishman in Berlin“ verwende ich den Hut, um Witze übers englische Wetter zu machen – so kehrt die Melone, die eigentlich ein Engländer-Klischee bedienen sollte, quasi wieder zu ihren Wurzeln zurück.

Sie selbst leben seit vierzig Jahren in Berlin. Wie britisch fühlen Sie sich noch?

Nicht sehr, ich spreche so selten Englisch, dass ich manchmal sogar in meiner Muttersprache stolpere. Dabei wird in Berlin eigentlich immer mehr Englisch gesprochen. Aber ich suche diesen Kontakt nicht, habe ihn nie gesucht.

Sie gehen also nicht regelmäßig ins Broken English, um sich mit Scones und Plumpudding einzudecken?

Nein, im Alltag bin ich völlig deutsch geworden. Nur meine Bücher kaufe ich im English Bookshop – die Literatur ist mein einzig konstanter Kontakt zu meiner Muttersprache. Und manchmal übersetze ich meine Lieder ins Englische.

Ihre zurückhaltende Art, Ihr oft skurriler Humor, ist das nicht ziemlich englisch ?

Ich mache keine laute Ramba-Zamba-Musik – obwohl ja oft behauptet wird, dass Kinder solche eher schlichten Stimmungslieder lieben. Mir ist das zu grob. Ich glaube, ich habe auch eine Fangemeinde, die eher das Subtile, auch das leicht Alberne schätzt. Vielleicht ist das irgendwie britisch – ich mache mir darüber wenig Gedanken, so wie ich mein Englisch-Sein nicht bewusst kultiviere. Die Hauptsache ist ja: Es funktioniert.

Es funktioniert sogar hervorragend: Ihre Shows für Kinder sind ausverkauft. Unter Eltern, die von herkömmlicher Kindermusik genervt sind, gelten Ihre CDs als heißer Tipp. Wie schaffen Sie es, Kinder und Erwachsene gleichermaßen anzusprechen?

Die Eltern spielen bei mir eine große Rolle – sie müssen die Musik ihrer Kinder schließlich auch hören. Mein schönstes Kompliment ist, wenn Eltern nach einem Konzert zu mir kommen und sagen: „Herr Metcalf, vielen Dank für Ihre Musik. Wir mussten die CD 20 Mal auf der Autofahrt hören – und wir halten es aus“. Deshalb baue ich schon mal ein Wortspiel oder musikalisches Zitat für Erwachsene mit ein. Aber musikalisch differenziere ich nicht wirklich. Ob für Erwachsene oder für Kinder – die Musik muss einfach gut sein.

Ist das Geheimnis Ihres Erfolgs also gutes Handwerk?

Kinder brauchen Abwechslung. Ich variiere, integriere Elemente von Folk, Flamenco, Chanson oder Jazz in meine Songs. Es ist mir zu wenig, zu sagen: Jetzt wird gerockt oder jetzt bringen wir den Kindern Klassik bei. Ich rappe auch nicht, das ist nicht mein Ding. Aber für meine CD-Produktionen und Auftritte hole ich mir gute Musiker, ich lege Wert auf musikalisches Niveau.

Merken das die Kinder?

Unbewusst merken sie bestimmt, dass sie als Musikhörer ernst genommen werden. Das ist auch mein eigener Anspruch: ich bin in erster Linie Liedermacher, in zweiter Entertainer und erst in dritter Linie Pädagoge.

Dabei haben viele Ihrer Lieder etwas sehr Pädagogisches. Da geht es um Sport und Bewegung, das Lernen von Zahlen, Englischlernen. Ist das etwa keine Absicht?

Es war ein Lernprozess: Anfangs habe ich einfach nur lustige Geschichten erzählt, ganz ohne Hintergedanken. Doch keiner kam. Ein Puppentheaterbetreiber gab mir den Rat: Du musst für kleinere Kinder spielen. Und in dem Moment, als ich für ein Publikum ab drei sang, kamen sie. Ich wusste also: Wenn ich mit Kinder-Entertainment meinen Lebensunterhalt verdienen will, muss ich diese Altersgruppe bedienen. Dazu musste ich mich mit der Lebenswelt der Kinder auseinandersetzen: Wie bewegen sich Vierjährige, was lernen die gerade, wie sind ihre Themen? Ohne Motorik ging es nicht: Spätestens nach zwei Erzählliedern brauchen die Kleinen Bewegung. Also baute ich Bewegungselemente in meine Musik ein. So entstanden Formate wie „Zahlen, bitte!“. Ich hatte für jede Zahl eine Taktart: Für die Fünf einen Fünfviertel-Takt, für die Sechs einen Sechs-Achtel-Takt und so weiter. Ich bin total unmathematisch, aber die Zahlenwelt fing an mich zu interessieren.

Sie sind also ein Pädagoge wider Willen?

Das kann man so sagen. Als ich mal im „Berliner Bildungsprogramm“ für die Kitas geblättert habe, las ich: Bevor sie in die Schule kommen, müssen die Kinder wissen, was ein Quadrat ist. Ich dachte: Wie furchtbar! In meiner Kindheit habe ich im Kindergarten gesungen und Spaß gehabt. Die Welt hat sich geändert. Ab da habe ich mich auch bemüht, etwas pädagogischer zu denken. Und dachte: Wenn schon Pädagogik, dann soll sie auch Spaß machen.

Sie haben Ihr Programm also durch konsequente Anpassung an den Zeitgeist entwickelt?

Nein, an mein Publikum. Meinen ersten Erfolg hatte ich übrigens mit einem Lied, das nicht von mir ist: „The wheels on the bus“ ist ein altes englisches Lied, das ich übersetzte. „Die Räder vom Bus“ ist ein Renner. Ich fand das erst grenzwertig, schließlich will ich als Liedermacher mit meinen eigenen Sachen ankommen. Zweitens fand ich den Song etwas inhaltsleer, er fängt an mit einer Rollbewegung der Hände: Die Räder. Dann die Arme Schwenken: Der Scheibenwischer und so weiter. Aber irgendwann sah ich den sozial-pädagogischen Sinn darin: Bei einem Auftritt im Wedding bemerkte ich, dass einige der Kinder diese Rollbewegung nicht hinbekamen. Das berührte mich. Und ich begriff: Es ist gut, wenn die Kinder beim Spaß-Haben Bewegungen trainieren.

Sie haben eigentlich Sozialpädagogik studiert und mit erwachsenen Drogenabhängigen gearbeitet. Wie kamen Sie eigentlich darauf, Musik für Kinder zu machen?

Als ich 1973 im alternativen Milieu Westberlins gelandet bin, lagen so viele Ideen und Bewegungen in der Luft, alles war möglich. Ich wohnte in WGs, zog alle zwei Jahre um und hatte wechselnde Lebenspläne. Neben der Arbeit in der Drogenberatung schrieb ich Lieder für Erwachsene. Beim Baden-Treff in Nürnberg bekam ich einen Preis für meine Kassette, auf der fünf Lieder waren. Mit dieser Kassette bin ich durch Westberlin und dachte: Jetzt habe ich einen neuen Traum: Liedermacher werden. Der Leiter eines Liederfestivals sagte zu mir: „Chanson und Jazz machen wir nicht mehr. Schreib doch was für Kinder!“ Ich hatte mit Kindern damals wenig am Hut, bin aber auf das Experiment eingegangen.

Was passierte dann?

Ich durfte im Vorprogramm der Künstlerin Angelika Mann auftreten. Es war so furchtbar, dass ich vorzeitig die Bühne verlassen habe – die Kinder hörten mir nicht zu. Als ich wegrennen wollte, stoppte mich eine Frau und sagte: Ich bin vom RIAS Kinderfunk und möchte, dass Sie für mich eine Sendung schreiben. So fing es an. Ein Jahr später spielte ich beim gleichen Festival vor zwölf Zuschauern. Einer davon war Redakteur beim Hessischen Rundfunk und total begeistert, er engagierte mich für eine Fernsehshow. Das sagte mir, dass es irgendwie doch richtig war, was ich machte.

Ihre ersten Fans waren also Erwachsene?

Ich arbeitete fürs Radio, fürs Fernsehen – so viel Anerkennung gleich zu Anfang ist untypisch. Aber den Zugang zu den Kindern habe ich mir hart erarbeitet. Kinder sind ein sehr ehrliches Publikum. Wenn man danebenliegt, wird man hart bestraft. Die gehen weg, schreien rum, laufen zu ihren Eltern … Aber wenn man sie hat, sind sie wunderbar, so begeisterungsfähig. Sie sind bereit zu tanzen, mitzusingen – es ist wie mit den eigenen Kindern: Man hat manchmal Stress mit ihnen. Aber auch ganz wunderbare Momente.

Jetzt können Sie fast singen, wovon Sie wollen – lachende Feuerwehrmänner, schlecht singende Maulwürfe oder das Pinkeln. Woher kommen Ihre Geschichten?

„Ich beobachte, dass Eltern und damit auch ihre Kinder ziemlich unter Stress stehen“

Vieles entsteht über Spielereien mit Sprache und Rhythmus, zum Beispiel das Lied „Halt’s Maul, Maulwurf“. Auch bei einer Textzeile wie „Ich muss sofort und auf der Stelle pinkeln, sonst werd ich stinkeln, aus allen Winkeln“ steht der Wortwitz im Vordergrund. Es geht mir nicht darum, Kraftausdrücke zu verwenden oder übers Pinkeln zu sprechen. Ich versuche mit meinen Liedern so viel wie möglich offenzulassen, Raum für Interpretation und Fantasie zu geben. Die meisten Themen des Lebens sind zu differenziert, um sie absolut abzuhandeln.

Vielleicht kommen Ihre Lieder deshalb so gut an, weil sie einen zweckfreien Raum öffnen, den Kinder heute kaum noch haben: Musik, Spiele, Kleider, Freizeitaktivitäten – alles ist zugeschnitten nach der Warenwelt der Marketingindustrie. Oder den Bildungszielen der Eltern.

Ich fürchte, genauso ist es. Unser Programm „Zahlen, bitte!“ ist seit Jahren ausverkauft. Weniger weil es musikalisch raffiniert ist. Sondern weil es ein pädagogisches Thema ist: Eltern, Lehrer, Erzieher finden es wichtig, dass Kinder über die Zahlen Bescheid wissen.

Ärgert Sie das?

Es freut mich, wenn die Kinder kommen und Freude daran haben. Aber es nervt mich auch, dass ich Programme, bei denen Spaß an der Musik im Vordergrund stand, wieder streichen musste, weil zu wenig Leute kamen. Einfach nur gute Geschichten erzählen – das ist den Erwachsenen zu wenig. Es muss schon ein pädagogischer Mehrwert dabei rumkommen. Ich finde das traurig. Ich beobachte, dass Eltern und damit auch ihre Kinder ziemlich unter Stress stehen. Der Leistungsdruck ist vielen vielleicht gar nicht bewusst, aber er ist spürbar. Nur in der Vorweihnachtszeit kann ich es mir noch leisten, ein Programm anzubieten, das einfach nur schön ist und gute Laune macht. Wenn ich das Singen nur als Hobby betreiben würde, wäre es mir egal, aber nicht, wenn nur zwölf Leute im Publikum sitzen. Aber da ich davon lebe, kann ich nicht an den Bedürfnissen meines Publikums vorbei spielen.

Ist Ihre CD-Reihe „Learning English with …“ eine Reaktion auf den Wunsch bildungsbeflissener Eltern nach Frühenglisch?

Das waren Auftragsarbeiten, die mir aber viel Spaß gemacht haben, weil ich die Bücher von Otfried Preußler und Michael Ende sehr mag und es toll fand, sie in meiner Muttersprache interpretieren zu können. Die Kinder mögen sie auch sehr. Privat würde ich aber das Englischlernen so nicht angehen. Sofern man nicht zu Hause zweisprachig ist, nutzt dieses ganze So-früh-wie-möglich-Englisch-Lernen nichts – das ist aber nur meine private Meinung. Ich bin kein Experte.

Die bildungsorientierte Mittelschicht, ist das Ihr Stammpublikum – oder erreichen Sie Kinder aller Gesellschaftsschichten?

Die Leute, die zu Konzerten kommen und CDs kaufen, sind überwiegend Angehörige der Bildungsschicht. Aber wenn ich vor Kindergarten- und Schulklassen auftrete, erreiche ich viele unterschiedliche Kinder ohne ihre Eltern. In meinem Projekt „Mathilde, die Matheratte“ habe ich ein Lied, bei dem jedes Kind in seiner Muttersprache zählen darf – weil ich bei mir selbst gemerkt habe, dass ich das nach vierzig Jahren in Deutschland noch in meiner Muttersprache tue. Das führte unter anderem dazu, dass bei einer Aufführung in einer Weddinger Kita dasselbe Lied neunmal gesungen werden musste – so viele verschiedene Muttersprachen gab es in der Kindergartengruppe! Und die Kinder waren so stolz auf ihre Sprachen. Das hat mir gezeigt, dass ich doch mehr verschiedene Milieus erreiche, als ich dachte.

Ausgebuchte Shows, Preise, Fernsehauftritte. Mehr können Sie auf dem Gebiet des Kinder-Entertainments kaum noch erreichen. Gibt es noch Herausforderungen?

Ich mache seit einiger Zeit wieder Lieder für Erwachsene – damit gehe ich back to the roots. Und ich habe es gewagt, zum ersten Mal etwas für ganz Kleine zu schreiben: „Ich bin Eins, alles Meins“ erschien im März. Der Spagat zwischen dem ganz jungen und dem älteren Publikum ist für mich gerade sehr spannend. In der Zukunft will ich mich aber stärker auf Musik für Erwachsene konzentrieren. Fast jeden Tag vor Kindern aufzutreten ist anstrengend. Ich mache das jetzt schon so lange, dass ich quasi von der Onkel- in eine Opa-Rolle geschlüpft bin. Da kann man schon mal ans Kürzertreten denken.