piwik no script img

Archiv-Artikel

„No fillers, all killers“

Das Solid-Festival im Festsaal Kreuzberg setzt dem Freigetränke-Flair von Musikbranchentreffs Empathie entgegen. Ein Interview mit den Machern

taz: Die Popkomm ist gerade vorbei. Braucht Berlin jetzt schon wieder ein Festival? In der Stadt passiert doch eine Menge …

Severin Most: Industriell ja, aber nicht empathisch. Was sich in Deutschland Festival nennt, ist in Wirklichkeit Camping mit Musik. Auf den großen Festivals sind die Line-ups überall identisch. Die Bands werden von den großen Booking-Agenturen durchs Land gekarrt. Ich will aber nicht zum x-ten Mal We Are Scientists und The Rapture sehen, bloß, weil die in den Medien sind.

Als Macher des Solid-Festivals habt ihr also einen völlig anderen Ansatz?

John Fitzgerald: Solid ist ein Underground-Musikfestival. Von der Machart sehr oldfashioned, naiv, leidenschaftlich, von Herzen. Musikalisch avanciert, massiv, kraftvoll. (singt) „Solid as a rock!“ Nicht schlüpfrig eben.

S. M.: Was musikalisch passiert, ist heute kaum noch überschaubar. Das Angebot ist riesig und wechselt schnell, meist hat man aber nicht genug Zeit zu entscheiden, ob man eine Band mag oder nicht. Wir wollen dafür Bewusstsein wecken und den Blick schärfen für neue, gute Musik.

Ihr findet also, dass Konzertgänger in Berlin noch stärker an die Hand genommen werden müssen?

J. F.: Dass bei Festivals in Deutschland meistens zwei von Getränkeherstellern gesponserte Abräumer spielen und der große Rest ein Haufen Mist ist, liegt ja nicht daran, dass die Deutschen keine gute Musik hören wollen. Die Musikindustrie hat ein Geschmacksproblem. Festivalmachern denken: Viele Bands, viele Besucher. Das Ergebnis ist, dass niemand sich mehr für die Musik interessiert, sondern geguckt wird, wo die anderen hingehen, wo es freie Drinks gibt usw. Die Popkomm-Situation eben. Dagegen setzen wir eine kleine, konzentrierte Auswahl innovativer Bands. No fillers, all killers.

Gibt es Vorbilder?

S. M.: Das Transmusicale-Festival in Rennes lässt ausschließlich neue Bands spielen. Die Leute gehen da hin, um zu sehen, was nächstes Jahr groß wird. All Tomorrow’s Parties in England, die Junkyard-Festivals in New York, das sind die Vorbilder. Es geht darum, die Aufmerksamkeit zu bündeln für Bands, die es verdienen. Jemand wie Final Fantasy zieht Leute an, die Bands wie Adem oder El Perro del Mar noch nicht kennen, denen das möglicherweise aber gut gefällt.

Habt ihr das Programm für das Solid-Festival auf solche Synergieeffekte hin zusammengestellt?

S. M.: Ja. Freitag ist klar der ruhigere Abend, mit Folk, Singer-Songwriter, Psychedelic, Lo-Fi. Samstag ist etwas durchgeknallter, lauter. Beide Abende haben diesen roten Faden, trotzdem klingt keine Band wie die andere. Es hat sich auch rausgestellt, dass die Bands sich untereinander kennen, obwohl sie aus verschiedenen musikalischen Kontexten kommen. Zu einer schrillen US-Band wie XBXRX haben wir ein europäisches Äquivalent gesucht und mit Comanechi auch gefunden.

Ihr scheint sehr sicher, dass Berlin auf euch wartet.

S. M.: Das Publikum in Berlin ist erfahren genug, um interessiert zu sein, und wir kriegen Post von überall. Der tschechische Nationalsender hat sich auf die Gästeliste setzen lassen, Radiostationen von Wismar bis Wien kündigen uns an. Booker kommen extra aus den Staaten, um zu sehen, was hier vorgeht. Den Musikern gefällt das tolle Line-up und dass wir uns den Arsch für sie aufreißen.

Zum Festival gehört auch eine Ausstellung im West Germany. Wo seht ihr da die Verbindung?

S. M.: Kunst und Musik gehören zusammen. Die Maler, die wir zeigen, Daryl Waller und David Sherry, haben den gleichen künstlerischen Ansatz wie die Musiker, die bei Solid spielen, die gleiche Hingabe. David Shrigley, der auch eine Rolle spielen wird, hat zum Beispiel bei Tomlab Records ein Buch in Form eines Schallplattenalbums herausgebracht. Solche Kombinationen passen gut zum Festivalcharakter. Nächstes Jahr gibt es parallel vielleicht eine Lesung mit Stuckrad-Barre in der Paloma Bar. Oder ein Straßenfest mit Feuerschluckern und so.

INTERVIEW: SASCHA JOSUWEIT