Das C in „Kunstfreiheit“

Besonders die wertkonservativen Unionspolitiker springen nach der Absetzung von „Idomeneo“ für die Kunstfreiheit in die Bresche – dabei waren sie es, vor denen man sie früher verteidigen musste

„Islamisten dürfen nicht bestimmen, was auf unseren Bühnen gespielt wird!“ Wer wollte da widersprechen?

von ARNO FRANK

Gewaltig muss der Schrecken gewesen sein, den Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) da telefonisch der Intendantin der Deutschen Oper eingejagt haben wird: „Er hat gesagt“, erinnert sich Kirsten Harms, „er liebt die Deutsche Oper sehr, fährt oft an ihr vorbei und möchte nicht erleben, dass sie nicht mehr da ist.“ Wenn sich sogar schon jemand um die Oper sorgt, der sie nur von außen kennt, dann muss die Lage wohl wirklich ernst sein.

Erst entschuldigt sich der Papst für sein umstrittenes Zitat zum Islam, dann versenkt die ARD auch noch einen sozialkritischen Fernsehfilm über kleinkriminelle Migrantenkinder („Wut“) auf einem späteren Sendeplatz – sicherheitshalber.

Soll auch noch Mozart schweigen, das Lieblingswunderkind des Abendlandes?

Die Empörung, mit der nun quer durch alle politischen Lager auf die Absetzung von „Idomeneo“ reagiert worden ist, richtete sich vor allem gegen eine Selbsteinschränkung der Kunstfreiheit zugunsten der religiösen Gefühle einer Minderheit.

„Unsere Vorstellungen von Offenheit, Toleranz und Freiheit müssen offensiv gelebt werden“, meinte da etwa Klaus Wowereit (SPD), Regierender Bürgermeister von Berlin und Fachmann für offensives Leben. Auch Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, tadelte die Absetzung: „Ein peinlicher Vorgang.“ Dieser Einschätzung schloss sich auch Wiefelspützens Parteikollege und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse an.

Für die Grünen warnte vor allem Kulturpolitikerin Katrin Göring-Eckardt vor dem „vorauseilenden Gehorsam“ der Kunst vor einer obskuren „Kulturpolizei“. Berlins Kultursenator Thomas Flierl von der Linkspartei dagegen verzichtete auf jedes wohlfeile Tremolo, sondern stärkte seiner Intendantin betont sachlich den Rücken: „Frau Harms hat nach den ihr vorgelegten Einschätzungen verantwortungsvoll gehandelt.“

Während aber solche Einlassungen von solchen Politikern genau so zu erwarten waren, legten sich Vertreter von CDU und CSU mit besonders feierlichem Furor für die Kunstfreiheit ins Zeug. Für General Jörg Schönbohm, Innenminister von Brandenburg, ist nicht nur „die Entscheidung der Opernintendantin nicht akzeptabel“, nein: „Es darf nicht sein, dass Islamisten bestimmen, was auf deutschen Bühnen gespielt wird.“ Wer wollte da widersprechen?

Ganz gewiss nicht sein bayerischer Kollege, im Gegenteil: Günther Beckstein (CSU) nahm den Vorfall allen Ernstes zum Anlass, seine Vorstellungen von einer gelungenen Migrationspolitik ex negativo darzulegen. Unter Integration verstehe er nicht, „unsere Rechts- und Werteordnung zugunsten der Scharia aufzugeben“, was nichts anderes bedeutet als: „Ja, sind wir hier schon in Afghanistan?“

Aber was weiß schon ein Innenminister? CDU-Kulturexperte Wolfgang Börnsen weitete unauffällig die Kampfzone aus und sagte, die Entscheidung schade „der Freiheit der Kunst auf unserem Kontinent“ und sei ein „Kniefall vor radikalen Moslems“, die Börnsen offenbar für Bewohner ferner Erdteile hält. In diesem Sinne hält CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer die Absetzung für „pure Feigheit“ vor dem Feind, was früher mal mit einer standrechtlichen Erschießung geahndet wurde.

Auch Angela Merkel, in deren christlichem Verständnis von Europa kein Platz für die laizistische Türkei ist, wähnt sich offenbar in vorderster Front eines Kulturkampfes: „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht aus Angst vor gewaltbereiten Radikalen immer weiter zurückweichen“; Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) wünschte sich einfach mehr „Toleranz auch gegenüber unbequemen Meinungen und Courage im Angesicht der Kontroverse“.

Diese plötzliche Liebe zur Kunstfreiheit überrascht, heißt es doch in einem Gesetzentwurf der Union zum „besseren Schutz religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen“ wörtlich: „Nach dem Willen der Abgeordneten soll eine solche Beschimpfung künftig nicht erst dann strafbar sein, wenn sie geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören“, denn: „Zahlreiche Spielfilme und Bühnenstücke ließen zunehmend jegliches Maß an Toleranz und Achtung vor der religiösen Überzeugung anderer vermissen.“ Kunstfreiheit? Nicht bei „durch Form und Inhalt besonders verletzende Äußerung der Missachtung“, bitt’ schön!

Der Entwurf ist vom 14. November 2000, sein Anlass war „die ‚Heiligsprechung‘ eines Homosexuellen durch eine ehemalige Prostituierte im papstähnlichen Kleid bei einer Demonstration gegen den Papstbesuch in Berlin im Juni 1996“. Das waren noch Zeiten!