: Konservativer Sieg über Pressefreiheit
INDONESIEN Wegen „Sittlichkeitsvergehen“ muss Ex-„Playboy“-Chefredakteur zwei Jahre ins Gefängnis
Als 2006 der erste indonesische Playboy erschien, wurde das Magazin als Test für die Toleranz im mehrheitlich muslimischen Land gesehen – auch wenn es nicht ein Aktfoto enthielt.
Doch dem konservativen Lager im Land reichte, was es (nicht) sah: Seit vergangenem Samstag sitzt Erwin Arnada, der ehemalige Chefredakteur des Playboy, im Gefängnis – zwei Jahre Haft wegen „Sittlichkeitsvergehen“. Die Klage hatte die radikalislamische Front zur Verteidigung des Islam (FPI) angestrengt, die immer wieder mit gewalttätigen Übergriffen Schlagzeilen macht. Schon unmittelbar nach Erscheinen des Magazins bedrohte sie die Redaktion derart, dass diese es vorzog, auf die hinduistische Urlauberinsel Bali umzusiedeln. Inzwischen ist das Magazin eingestellt.
Für Arnadas Verteidiger, den prominenten Medienanwalt Todung Mulya Lubis, ist das Urteil ein Angriff auf die Pressefreiheit Indonesiens. „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis andere Redakteure wegen ähnlicher Gründe kriminalisiert werden. Das Urteil wird ein Klima der Angst und Selbstzensur schaffen“, so Todung zur taz. Der Anwalt, der ein Revisionsverfahren beantragt hat, bemängelt vor allem, dass die Richter im Fall Arnada die Paragrafen des Strafrechts angewendet haben und nicht die des Presserechts.Einen „Weckruf für alle, die sich um Indonesiens Freiheit und Demokratie sorgen“, nannte die Jakarta Post das Urteil. Es zeige, wie weit die Konservativen inzwischen ihren Einfluss in der Justiz des Landes ausgebaut haben. „Das Oberste Gericht ist momentan streng unter Kontrolle der Konservativen“, urteilte die auflagenstärkste englischsprachige Zeitung des Landes.
Indonesiens Presse gehört seit dem Demokratisierungsprozess, der 1998 nach dem Sturz des Diktators Suharto einsetzte, zu den freiesten in Asien. Doch immer wieder gefährden sowohl die Schatten der Vergangenheit als auch neue Bedrohungen eine freie Berichterstattung. Neben der Dominanz von völlig veralteten und drakonischen Strafrechtsparagrafen bei der Behandlung von Klagen gegen Medien sehen sich die Berichterstatter verstärkt physischer Gewalt ausgesetzt. Drei Journalisten wurden in diesem Jahr wegen oder während der Ausübung ihres Berufes getötet. Die Vereinigung unabhängiger Journalisten AJI zählte allein bis August 2010 40 Fälle von Gewalt gegen Journalisten – im Vergleich zu 38 im gesamten Jahr 2009. Im jährlichen Pressefreiheitsranking von Reporter ohne Grenzen, wo Indonesien schon jetzt den für eine Demokratie unrühmlichen Platz 101 (von 175) einnimmt, dürfte sich das Land mit dieser Bilanz wohl nicht nach vorn bewegen.
Diese Woche hielt indes auch einen Hoffnungsschimmer bereit. Am Mittwoch urteilte das Verfassungsgericht, dass ein Gesetz aus den 60ern, mit dessen Hilfe die Generalstaatsanwaltschaft wiederholt unliebsame Bücher verboten hatte, nicht verfassungskonform sei. Historiker, Autoren und Menschenrechtsaktivisten jubelten.
Doch dies als einen Beweis zu sehen, dass sich das Verfassungsgericht nicht dem Einfluss von Konservativen beugt, greift zu kurz. Geht es um religiöse Fragen, sieht die Realität offenbar anders aus. Erst kürzlich erklärten die Verfassungshüter – nach erheblichen Bedrohungen durch die Anhänger diverser radikalislamischer Organisationen – ein umstrittenes Blasphemiegesetz, das die Abweichung von den sechs anerkannten Religionen in Indonesien (Islam, Protestantismus, Katholizismus, Buddhismus, Hinduismus, Konfuzianismus) bzw. von einer von der Mehrheit vertretenen Auslegung dieser Religionen als Blasphemie unter Strafe stellt, für verfassungskonform. ANETT KELLER