piwik no script img

Archiv-Artikel

Kaczyński ortet eine neue Provokation

Polens Regierungschef bezeichnet den Kauf der Stimme einer Abgeordneten als normalen Vorgang. Rücktritt schließt er aus. Die Opposition will Neuwahlen, doch dafür braucht sie eine Zweidrittelmehrheit. Am 10. Oktober wird darüber abgestimmt

Kaczynski sagt, er sei vor einer Attacke seiner Feinde gewarnt worden

AUS WARSCHAU PAUL FLÜCKIGER

Geheime Videoaufnahmen über den versuchten Kauf einer Abgeordneten der radikalen Bauernpartei Samoobrona haben die polnische Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) unter Dauerbeschuss der Opposition gebracht. Doch statt sich zu entschuldigen, bezeichnete Regierungschef Jarosław Kaczyński am späten Mittwochabend in einer Fernsehansprache an die Nation die Aufnahmen als ein Komplott mafiöser, postkommunistischer Kräfte.

Seit Dienstagabend ist die polnische Öffentlichkeit in Aufruhr. Viele Menschen hatten erwartet, mit den Kaczyński-Zwillingen an der Macht würden Anstand und Solidarität zurückkehren. Die vom Privatsender TVN ausgestrahlte Dokumentaraufnahme suggeriert nun das Gegenteil. In dem Mitschnitt ist zu sehen, wie der enge Vertraute des Premiers und PiS-Vizechef Adam Lipiński mit der in der Öffentlichkeit wegen Wahlbetrugs diskreditierten Samoobrona-Abgeordneten Renata Beger über einen Fraktionswechsel verhandelt. Lipiński bietet Beger dabei einen Posten im Landwirtschaftsministerium an, falls sie zur PiS übertritt. Er verspricht ihr auch, auf Kosten der Steuerzahler eine Lösung für ihre Schulden bei der Samoobrona zu suchen. Gemäß einer internen Parteiregelung müssen alle Abgeordneten von Andrzej Leppers radikaler Bauernpartei bei einem Fraktionswechsel mit einer hohen Geldstrafe rechnen. Der Regierungspartei der Kaczyński-Zwillinge fehlen seit dem Rauswurf Leppers aus der Koalition vor einer Woche noch rund 40 Sitze für eine neue parlamentarische Mehrheit. Gerüchte über Stimmenkauf machten seitdem die Runde.

Die gemäßigte Bauernpartei PSL (Polnische Volkspartei), die ihre 25 Abgeordneten in die neue Koalition einbringen könnte, sagte die Koalitionsgespräche sofort nach Bekanntwerden des Skandals ab. Die liberale Bürgerplattform (PO) und das Demokratische Linksbündnis (SLD) forderten den Rücktritt von Jarosław Kaczyński und Neuwahlen. Gestern erklärte das Büro von Parlamentspräsident Marek Jurek, das Parlament werde am 10. Oktober über seine Selbstauflösung abstimmen. Dafür ist allerdings eine Zweidrittelmehrheit nötig. Da die PiS allein über ein Drittel der Abgeordneten stellt (154 von 460), sind die Chancen derzeit gering.

Die PiS spielt die Videoaufnahmen standhaft herunter. Für die Regierungspartei ist nicht das korruptionsverdächtige Angebot ein Skandal, sondern die Tatsache, dass eine Videokamera zu der Besprechung ins Abgeordnetenhotel geschmuggelt werden konnte. Lepper und Oppositionsführer Donald Tusk (PO) hätten diese Provokation vorbereitet, behauptet die Partei der Kaczyński-Zwillinge. „Sie wollen das Land in eine politische Krise stürzen“, erklärte Kaczyński in seiner Fernsehansprache.

„Sie wollen das Kartell wieder zurück an die Macht bringen“, warnte er und zog erneut seine Theorie von den mafiösen, postkommunistischen Seilschaften hervor, die den Kaczyński-Zwillingen bereits in den vergangen 16 Jahren als Sündenbock dienten. Er sei vor einer Gegenattacke der Feinde der moralischen Wende im Herbst gewarnt worden, erklärte er. Die meisten Zuschauer in Polen mögen sich die Augen gerieben haben ob der Kaltschnäuzigkeit des Mitbegründers der PiS, die eben gerade dabei überführt worden war, die selbst gepredigten Standards gebrochen zu haben.

Das Gespräch zwischen Lipiński und Beger sei ein ganz normaler Vorgang, erklärte Kaczyński seinem Volk. „Dies als Korruption zu bezeichnen, ist eine Lüge!“ Er jedenfalls trete nicht zurück, sondern die PiS werde die moralische Wende verteidigen, versprach der Regierungschef.