Lebensentwürfe zeigen

Zadie Smith schreibt ihren dritten Roman und wechselt darin mühelos zwischen Universitätswelt und Einwanderermilieu hin und her: „Von der Schönheit“

VON SEBASTIAN DOMSCH

Für Zadie Smith ist die ganze Welt ihr Gemischtwarenladen. Mit selbstverständlicher Sicherheit bedient sie sich seit ihrem furiosen Debütroman „Zähne zeigen“ aus einer Vielzahl unterschiedlicher Kulturen, samt der damit verknüpften Kunst und Literatur und mischt das Ganze zu exotisch duftenden, aber auch leicht bekömmlichen Gerichten an. Hybridität ist dabei das wohl wichtigste Kennzeichen; wie einem großen Küchenchef geht es Smith darum, neuartige Kombinationen interessant und schmackhaft zu machen.

In „Zähne zeigen“ wurde erst einmal alles ausprobiert. Zadie Smith ließ kaum etwas aus, von britisch über jamaikanisch zu pakistanisch, vom Islam über das Judentum bis zum Katholizismus, von Rushdie über Kureishi bis zu Virginia Woolf. Sie wusste alles und veranlasste den britischen Kritiker James Wood dazu, diesen Roman als Prototypen des von ihm so bezeichneten „hysterischen Realismus“ zu bezeichnen. Mit ihrem Folgeroman „Der Autogrammhändler“ begann sie dann bereits den Prozess der selbstauferlegten Einschränkung, konzentrierte sich auf eine Hauptfigur, den Sohn chinesisch-jüdischer Eltern und seine Obsession mit Prominenten, überlud das Buch aber mit technischen und typografischen Taschenspielertricks.

Ihr mittlerweile dritter Roman, „Von der Schönheit“, verfügt zwar wieder über ein auch ethnisch breit angelegtes Personal, übt sich dafür auf anderer Ebene in der Beschränkung, indem er sich an die Struktur eines anderen Romans anlehnt und diese mit neuen Inhalten anfüllt.

Unübersehbar parallel zur Handlung von E.M. Forsters bekanntestem Roman „Wiedersehen in Howard’s End“ erzählt „Von der Schönheit“ die Geschichte zweier Familien, die für sehr unterschiedliche Lebensentwürfe stehen, religiös, politisch, ethnisch, und deren Mitglieder im Verlauf der Handlung immer wieder miteinander zu tun bekommen. Auf der – in jeder Hinsicht – linken Seite des großen Teichs sind das die stark liberal orientierten Belseys, Kiki, eine schwarze Amerikanerin von beachtlichem Körperumfang und ihr Mann Howard, englischer Ästhetikprofessor an einer Ostküstenuniversität in der Nähe von Boston, die Wellington heißt und Harvard meint. Die beiden haben drei Söhne unterschiedlicher Schattierungen, Levi, der gerne ein Gangsta wäre, Zora, die auf dem besten Wege ist, ein strebsamer Über-Nerd zu werden, und Jerome, der bereits ein Fundamentalchrist ist, was in der Familie der Belseys selbstverständlich auf wenig Verständnis stößt.

Umso wohler fühlt sich Jerome daher während eines Gastaufenthalts in England bei den Kipps, einer ultrakonservativen, aus Trinidad stammenden Familie, deren Oberhaupt Sir Monty der erbittertste Gegenspieler Howards im Ringen um die richtige Deutung Rembrandts ist. Jeromes Aufenthalt endet allerdings in einer Katastrophe, als der älteste der Belsey-Sprösslinge von Victoria, der Tochter der Kipps, verführt wird und dies als Verlobung missversteht. Es bleibt den beiden Familien jedoch nicht vergönnt, sich fortan peinlich berührt aus dem Weg zu gehen, denn Monty bekommt für ein Jahr eine Gastprofessur in Wellington, womit den familiären wie den universitäre Konflikten nichts mehr im Wege steht.

In der sich nun entfaltenden Campusnovel cum Gesellschaftskomödie zeigt Zadie Smith, ohne auch nur ein einziges Mal bemüht zu wirken, dass sie nicht ohne Grund zu den talentiertesten Schriftstellern Englands gerechnet wird. Beachtlich ist ihre Fähigkeit, sich in die unterschiedlichsten Figuren hineinzudenken, deren Gedanken nachvollziehbar zu machen und ihre Sprache authentisch wiederzugeben, wenn auch vieles davon leider kaum übersetzbar ist. Scheinbar mühelos wechselt sie zwischen Universitätswelt und Einwanderermilieu hin und her und ringt noch dem banalsten häuslichen oder akademischen Vorgang eine poetische Beschreibung ab. Klug, ungemein witzig und mit einem untrüglichen Blick für sprechende Details, ist „Von der Schönheit“, ganz wie sich die Autorin das, nach dem eher negativ gefärbten Vorgänger, gewünscht hat, eine wunderbare Lektüre zum Gutfühlen und ein intellektuelles Vergnügen.

Für den Literaturkenner gehört dazu auch der Vergleich zu Forster, denn die Parallelen zu dessen Buch, die sich durch den ganzen Roman ziehen, geben der Geschichte ein unausgesprochenes Gerüst. Man muss sie nicht erkennen, aber sie verleihen dem Roman eine zusätzliche spielerische Dimension. Gleichzeitig verdeutlichen sie jedoch auch, wo Smith hinter ihren Möglichkeiten zurückbleibt.

Fast wortgleich zu „Howard’s End“ beginnt Smith ihre Geschichte, bei ihr heißt es: „Ebenso gut könnte man mit Jeromes E-Mails an seinen Vater beginnen.“ Der entscheidende Unterschied in diesem ersten Satz liegt nicht im Wechsel vom ursprünglichen Brief zur zeitgemäßeren E-Mail. Denn was bei Forster nach der weiteren Lektüre zu einem Hinweis auf die Allgemeingültigkeit der folgenden Geschichte wird, die eben nicht nur als abgeschlossene Handlung, sondern vor allem als Gesellschaftspanorama der vorletzten Jahrhundertwende ihre Bedeutung hat, entpuppt sich bei Smith als unbewusstes Eingeständnis, dass ihre Geschichte keinen notwendigen Anfang hat und auch kein notwendiges Ende. Auch ihre Struktur drängt es zum Panorama, doch da es im Prinzip immer so weitergehen könnte, ähnelt sie am Ende eher den unabschließbaren Familienserien im Fernsehen.

„Von der Schönheit“ vermittelt bisweilen den Eindruck, als würden Salman Rushdie, Malcolm Bradbury und E. M. Forster zusammen Episoden für eine akademische Version von „Friends“ schreiben. Das wäre vermutlich die beste Serie dieser Art, die das Fernsehen je gesehen hätte, aber es ist immer noch zu wenig für das, was Zadie Smith eigentlich kann.

Zadie Smith: „Von der Schönheit“. Aus dem Englischen von Marcus Ingendaay. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006, 518 Seiten, 22,90 Euro