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Archiv-Artikel

„Qualifikation muss entscheidend sein“

BERUFSPERSPEKTIVE Ein Rechtsanspruch auf Anerkennung genügt nicht, sagt die Sozialwissenschaftlerin Martina Müller-Wacker

Martina Müller-Wacker

■ 35, Sozialwissenschaftlerin, verfasste die Studie „Brain Waste“ über die Anerkennung ausländischer Abschlüsse. Sie arbeitet bei „Tür an Tür Integrationsprojekte“.

taz: Frau Müller-Wacker, wer trifft in Deutschland auf die höchsten Hürden, wenn ein ausländischer Bildungsabschluss anerkannt werden soll?

Martina Müller-Wacker: Wir unterscheiden drei Gruppen: Spätaussiedler, EU-Bürger und Nicht-EU-Bürger. Die Nicht-EU-Bürger sind am schlechtesten gestellt.

Was genau heißt das?

Nur Spätaussiedler haben für alle Berufe einen rechtlichen Anspruch auf ein Anerkennungsverfahren. EU-Bürger haben dies nur für die rund 60 reglementierten Berufe. Das betrifft Lehrer, Ärzte, Anwälte oder Ingenieure. Nicht-EU-Bürger haben selbst bei den reglementierten Berufen nicht immer die Möglichkeit, den Abschluss anerkennen zu lassen. Das unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland. Ein gleicher Rechtsanspruch für alle wäre eine große Verbesserung. Die Qualifikation muss entscheidend sein, nicht Herkunft und Statusgruppe.

Wie viele Stellen sind mit Anerkennungsfragen befasst?

Derzeit sind es ca. 400, Ministerien, Behörden und viele Kammern. Ein Problem ist, dass sowohl die Verfahren als auch die Bescheide zwischen und innerhalb der Bundesländer stark variieren. Uns fehlen Standards und Qualitätskriterien für die Bescheide und die Verfahren.

Mit einem Rechtsanspruch ist es also nicht getan?

Nein, auch die Realität am Arbeitsmarkt sollte beachtet werden. Es ist immer noch so, dass viele Arbeitgeber Zeugnissen aus dem Ausland mit großer Skepsis begegnen. Anerkennungsbescheide sollten den Informationsbedürfnissen der Wirtschaft gerecht werden. Und bei Unternehmen müsste für die Nutzung der Bescheide als Informationsquelle geworben werden.

Wie viele Menschen mit Migrationshintergrund arbeiten unter ihrer Qualifikation?

Das ist sehr schwer zu schätzen. Nach der Mikrozensusauswertung verfügen ca. 2,8 Millionen der Migrantinnen und Migranten über berufliche und akademische Abschlüsse. Aber die große Mehrheit arbeitet nicht ihren Qualifikationen entsprechend. Für unseren Bericht „Brain Waste“ hatten wir 2008 150 Migrantinnen und Migranten interviewt. Nur 16 Prozent von ihnen fanden einen Arbeitsplatz in ihrer ursprünglichen Branche.

Was müsste noch getan werden, um dem entgegenzuwirken?

Wir brauchen den Ausbau von Brückenprogrammen, die Zuwanderern den Übertritt in den deutschen Arbeitsmarkt erleichtern. Da sind andere Länder, beispielsweise Kanada, viel weiter. In Brückenprogrammen können zum Beispiel Praktika wertvolle Maßnahmen sein, durch die Menschen berufliche Kontakte knüpfen und lernen können, wie hiesige Unternehmenskulturen oder Branchen funktionieren. Berufsspezifische Deutschkurse sind ebenfalls ein wichtiger Teil von Brückenprogrammen. Und Anerkennungsberatungen. Im Dschungel der Rechtsgrundlagen und zuständigen Stellen sind die Leute sonst überfordert. Da ist es nicht mit nur einem Beratungstermin getan.

INTERVIEW: EVA VÖLPEL