: Auch PDS-Basis will weiter so
Die Linkspartei entscheidet sich fürs Weiterregieren mit der SPD. Das große Dilemma bleibt: Die geschwächte Ex-PDS muss trotz einer knappen Parlamentsmehrheit künftig aufmüpfiger auftreten
VON MATTHIAS LOHRE
Dialektik ist etwas Wunderbares. Alles lässt sich mit ihr begründen. Insbesondere Gegensätze erhalten durch sie ihren ganz eigenen Reiz. Noch am vorigen Montag wollte Linkspartei.PDS-Landeschef Klaus Lederer „alles grundsätzlich diskutieren“: wie die bei der Abgeordnetenhauswahl abgestrafte Partei künftig Nichtwähler gewinnen will, und wo sie sich stärker um Durchsetzung und Vermittlung ihrer Politik kümmern muss. Nur vier Tage später haben sich die Postsozialisten mit großer Mehrheit entschieden, ab der kommenden Woche Koalitionsverhandlungen mit der SPD zu führen – falls die das auch will. Selbst diese Kehrtwende kann die Parteispitze einprägsam begründen.
Auf dem eilig einberufenen PDS-Sonderparteitag übte sich Lederer am Donnerstagabend zwar ausführlich in Selbstkritik: Die Erwartungen der Wähler müsse die Partei genauer analysieren, Fraktion und Fraktionsvorstand müssten sich der Basis besser mitteilen. Dennoch war dem unter Druck geratenen PDS-Frontmann klar: Die Partei solle weiterregieren, falls die SPD Koalitionsverhandlungen anbietet.
„Die Arbeit in Koalition und Senat müsste sich gründlich ändern“, rief Lederer mit errötetem Kopf in den Saal der Pankower Bezirksverordnetenversammlung. „Sie allerdings tatsächlich zu ändern, sich als lernfähig zu erweisen, birgt die Chance der Rückgewinnung von Vertrauen und von Akzeptanz dort, wo wir beides verloren haben.“
Der Absturz von mehr als 22 Prozent der Wählerstimmen im Jahr 2001 auf 13,4 Prozent, sollte das heißen, sei ein Aufruf zum Weiterregieren. Am prägnantesten formulierte den waghalsigen Salto Gastredner Gregor Gysi. Seinen Zuhörern im überfüllten BVV-Saal rief der Chef der Bundestagsfraktion zu: „Diejenigen, die Linkspartei wählten, wollten ganz bestimmt nicht, dass die Grünen regieren.“ Die große Mehrheit der Delegierten fand das logisch: 94 der 119 Stimmberechtigten votierten für die Aufnahme von Koalitionsgesprächen, nur 19 stimmten dagegen, 6 enthielten sich.
Die Sozialdemokraten entschieden gestern Abend nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe, ob sie in den kommenden fünf Jahren mit Grünen oder Linkspartei regieren wollen. Dass die Linkspartei das Rennen macht, falls sie sich zum Weitermachen entscheidet, gilt seit der Wochenmitte als wahrscheinlich. Damit ist aus der zu Tode betrübten Partei binnen weniger Tage wieder eine selbstbewusste Truppe geworden. Die Frage ist: Warum nur?
Falls Rot-Rot weiterregiert, wird eine dezimierte Linkspartei einer selbstbewussten SPD gegenüberstehen. In der endenden Legislaturperiode haben die Sozialdemokraten die Postsozialisten zu vielen Zugeständnissen gedrängt: Murrend, aber folgsam nickten sie massenhafte Verkäufe landeseigener Wohnungen ab, stimmten drastischen Erhöhungen der Kita-Gebühren ebenso zu wie Streichungen tausender Stellen im öffentlichen Dienst. Und künftig?
Die Verhandlungsposition der Linkspartei ist schlecht. Trotz geschwundenen Einflusses im Senat und einer knappen Ein-Stimmen-Mehrheit einer Koalition mit der SPD im Abgeordnetenhaus müssen die Postsozialisten aufmüpfig wirken. Das erwartet die mürrische Basis in den Bezirken.
Vor allem in den Hochburgen im Osten hat die Partei viele Wählerstimmen verloren. Für die SPD heißt das: Die Linksparteiler im Senat werden sich ein wenig widerspenstig geben, mehr mit der Parteibasis reden – aber den Koalitionsfrieden nicht gefährden. Dafür ist die Parlamentsmehrheit zu knapp und die Disziplin der PDS-Parteisoldaten zu ausgeprägt. Notfalls bemüht die Parteiführung halt etwas Dialektik.