: Irgendwann ist jedes Bild schizophren
FILMREIHE Denn neben der Landwirtschaft ist das Filmemachen die edelste Beschäftigung des Menschen: das neue, junge Kino aus Südostasien im Kreuzberger Moviemento. Heute beginnt das Asian Hot Shots Festival
VON LUKAS FOERSTER
„Neben dem Filmemachen ist die Landwirtschaft das, was mich am meisten interessiert. Sie ist eine der edelsten Beschäftigungen des Menschen.“ Das sagt der Thailänder Uruphong Raksasad über seinen ersten Spielfilm, dessen Titel „Agrarian Utopia“ man also wörtlich nehmen darf. Dabei macht der Film über weite Strecken nichts anderes, als die Härte des Lebens thailändischer Reisbauern in ungeschönten, quasidokumentarischen Bildern einzufangen. Die Bauern Duen und Nuek bearbeiten Land, das einem anderen gehört. Der Film strukturiert sich nach dem Erntezyklus, mit liebevollem Blick beobachtet Raksasad jede einzelne Handbewegung. Aber er zeigt auch die Dynamiken eines Marktes, der keinen Platz kennt für diese Männer, und er zeigt, wie Duen und Nuek ihre Familien oft nur mit am Wegrand gefundenen Schlangen und Fröschen ernähren können. „Agrarian Utopia“ ist durchsetzt mit Bildern der oft von brutalen Auseinandersetzungen mit der Polizei begleiteten Demonstrationen, die Thailand seit einem De-facto-Putsch im Dezember 2008 in Atem halten. Duen und Nuek wahren misstrauisch Distanz. Wenn es eine Utopie gibt in diesem Film, dann ist diese nicht politisch-partizipativer, sondern landwirtschaftlicher Natur: Auf dem Nachbargrundstück arbeitet ein langhaariger Sonderling, der sich vom Weltmarkt abgekoppelt hat und nur für den Eigenbedarf produziert.
Es gibt wenig Filme, die so konsequent auf die Rückseite der Globalisierung blicken. Raksasads beeindruckendes Werk hat den Weg nach Berlin gefunden und ist im Rahmen des „Asian Hot Shots“ Festivals zu sehen, das vom 20. bis 24. Oktober Weltkino ins Kreuzberger Moviemento holt. Das „Asian Hot Shots“ fand Anfang 2008 zum ersten Mal statt, damals noch im Babylon in Mitte, inzwischen ist man bei der dritten Ausgabe angelangt und bereits eine kleine Institution. Das Festival widmet sich dem jungen asiatischen, insbesondere dem südostasiatischen Kino. Das Programm ist sehr dicht. Nach der Eröffnung heute Abend werden vier Tage lang alle drei Säle des gemütlichen Kinos am Kottbusser Damm bespielt – vom späten Vormittag bis weit nach Mitternacht.
Um die hundert Filme, fast alle entstanden in den letzten beiden Jahren, viele Deutschlandpremieren, Regisseursnamen, die selbst fleißigen Festivalgängern kaum ein Begriff sein dürften: Das „Asian Hot Shots“ ist etwas für Entdecker. Und es lohnt sich. Man stößt zum Beispiel auf den japanischen Musiker Kenta Maeno, der im tollen Konzertfilm „Live Tape“ während eines Spaziergangs durch Tokio Indieballaden performt; die Kamera dokumentiert das ohne Schnitte in einer Einstellung. Oder man findet Kunstfilmsonderbarkeiten wie den indonesischen „Blind Pig Who Wants to Fly“, eine queere Zahnarztfantasie, nach der man den Stevie-Wonder-Song „I Just Called To Say I Love You“, der im Film gefühlte dreißig Mal und stets in den absurdesten Situationen auftaucht, nie wieder hören möchte. Oder Dokumentationen über chinesische Undergroundmusik. Oder japanische Softpornos.
Jede Ausgabe des Festivals setzt außerdem einen speziellen nationalen Schwerpunkt. Nach den Philippinen 2008 und Indonesien 2009 ist dieses Mal der Stadtstaat Singapur an der Reihe. Das Festival bildet die kleine, aber sehr vitale Filmszene der Metropole in ihrer Breite ab. Der Eröffnungsfilm „The Blue Mansion“ ist smartes kommerzielles Kino, eine gut geölte Mischung aus murder mystery, sophisticated comedy und Charakterdrama: Ein frisch verstorbener Patriarch geistert durch die eigene Beerdigung. Die Kinder streiten sich um das Erbe, das materielle wie das psychische. Irgendwann taucht ein ironisch überzeichneter Detektiv auf, der der festen Überzeugung ist, der Alte sei ermordet worden.
Ein ganz anderer Fall ist Ho Tzu Nyen, Shootingstar der Singapurer Film- wie der Kunstszene, der mit zwei faszinierenden Arbeiten vertreten ist. Der Spielfilm „Here“ – uraufgeführt in Cannes 2009 – ist ein modernistisches Verwirrspiel, das in einer psychiatrischen Klinik spielt. Dort experimentiert man mit einer „video cure“: Die Patienten produzieren Filme über sich und ihre Umgebung. „Here“ ist eine Attacke auf alles Normative, irgendwann ist jedes Bild potenziell schizophren. „Earth“, Hos zweiter Film im Festival, entstammt einer Videoinstallation. Die Kamera fährt im Stil mittelalterlicher Gemälde drapierte und beleuchtete Tableaux vivants ab und stößt dabei auf geheimnisvolle, teils groteske Verschaltungen von Mensch und Dingwelt. Darum geht es im Kino oft, aber selten so explizit und eindrücklich wie hier: die Welt als Fremdes sehen.
■ Asian Hot Shots: ab 20. Oktober im Moviemento-Kino in Kreuzberg. Programm unter www.asianhotshotsfestival.com