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Riss im Herz

Kulturverein Quartier macht Tenever-Hochhaus zur Bühne

Er hat Stehprobleme, aber auf der Klappbank hält ihn nichts. Als der Chor der russischen Mamas erneut auf den angestrahlten Balkon der geräumten Parterre-Wohnung in der Neuwiederstraße 44 tritt, ist auch der leicht zerknitterte Mann wieder da. Dicht unter der Brüstung fuchtelt er im Takt und versucht, die Hände zusammenzuschlagen.

Meistens klappt’s nicht, und zu artikulieren, was ihn da bewegt, misslingt auch: „SSss alls e’al“. Die Nachbarn? „E’al“. Dabei sind’s viele, trotz Wetten dass…? im Zweiten: Hunderte, die sich vorm Hochhaus drängen, das der Soziokultur-Verein Quartier mit Musik und Sketchen der BewohnerInnen in Szene setzt. Die One-Man-Zusatzshow wird lächelnd beachtet, Kopfschütteln, „der ist hinüber“. Stimmt: Sein Atem ist ein Mix aus Bier, Korn, Wein, besser die Leber schreit, als ein anderes Organ.

Der angestrahlte Wohnsilo hat keine Zukunft: Nach dem Kessler-Block ist er die nächste Lücke, die in Tenever laut Plan zu reißen ist. Momentan wird leer gewohnt, dann folgt, was Verwalter Rückbau nennen. „Es ist traurig“, hört man zwischen den Nummern der Revue. Und bitter ist nicht nur, dass das Leben anderswo teurer kommt. Die Geschichte, in Film, Ton, Schattenspiel erzählt und von Tenever-Spezialist Joachim Barloschky im sarkastisch-naiven Märchenton verkündet, ist eine von steter Fehlplanung und ewigem Missmanagement. Irren, klar, ist menschlich. Aber so bunt der Bilderbogen vom Neubaubeschluss 1967 bis zum Abriss-Plan auch ist, es siegt der Eindruck: Den Entscheidern war stets gleich, ob hier Träume geträumt und welche Leben gelebt wurden. All’s e’al? Von wegen: Nostalgie, ja, Trauer, möglich, ganz sicher aber: Zorn. bes

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